Vermittlung Magazin

WIEN MODERN - die erste Hälfte 

Rezensionen

Sabine Töfferl berichtete für terz.cc über die Konzerte von WIEN MODERN 2011. Sie finden hier die gesammelten Rezensionen der ersten Hälfte.

 

Eröffnung

RSO spielte Spiegel I-VII von Cerha

Intendant Bernhard Kerres, Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Lothar Knessl waren sich beim Eröffnungskonzert des Musikfestivals für neue Musik WIEN MODERN einig: WIEN MODERN ist absolut unverzichtbar. Dass es nicht reicht, solche Gedanken auch zu verbalisieren, erläuterte Lothar Knessl unmissverständlich in seiner Eröffnungsrede: je mehr Geld desto besser kann das Festival seiner Bestimmung nachkommen. 5% Budgeterhöhung, wie von Mailath-Pokorny soeben noch stolz verkündet, seien gut, aber viel zu wenig.

 

Eröffnet wurde das Festival mit einem gigantischen Werk von Friedrich Cerha, den Spiegeln I-VII. Das ORF Radiosymphonieorchester Wien glänzte unter der Leitung von Cornelius Meister. Die Orchestrierung der Spiegel schwappte über die ZuhörerInnen im Großen Saal des Wiener Konzerthauses und zog sie in den Bann ihrer dynamischen Vielfalt und Wucht. Keine Sekunde blieb ohne Spannung. Der 85-jährige Komponist selbst saß an der Elektronik.

 

Wien Modern findet noch bis 25.11.2011 statt. In der Programmatik setzt der künstlerische Leiter Matthias Losék folgende Scherpunktthemen: einen Cerha-Schwerpunkt zum 85. Geburtstag des renommierten österreichischen Komponisten, dazu als britischen Gegenspieler Werke von Harrison Birtwistle, eingebettet in das Thema: UK Collection, wo auch jüngere Komponisten der Insel zu hören sein werden (wie etwa Emily Howard). Weiterhin ist dem österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer ein Schwerpunkt gewidmet und zuletzt darf man verschiedene Werke des diesjährigen Erste-Bank-Komposition Preisträgers Gerald Resch kennen lernen.

 

Barbara Preis


Notturni I+II

Am 29. Oktober begann im Mozartsaal des Wiener Konzerthaus eine vierteilige – nun ja, nennen wir es – Reihe, genannt "Notturni". Der Pianist Marino Formenti thematisiert dabei laut Programmzettel "in nächtlichen Reflexionen die programmatischen Schwerpunkte des jeweils vorangegangenen Konzerts und verbindet diese mit einer abwechslungsreichen und vielseitigen Erkundungsreise durch Cerhas Œvre."

An jedem der vier Abende wird Friedrich Cerhas Für Marino (gestörte Meditation) gespielt, dazu kommen verschiedene Werke entweder Cerhas oder eines anderen Komponisten. Marino Formenti erklärt sein Konzept folgendermaßen: „Mein Wunsch wäre, dass die ZuhörerInnen zu mehreren Terminen kommen, weil es auch darum geht, ein Stück öfter und in unterschiedlichen Kontexten zu hören“, wird er im Programmbuch des Festivals Wien Modern zitiert.

Bei der ersten Auflage wurde erst Brian Ferneyhoughs Lemma-Icon-Epigram gegeben, danach Für Marino (gestörte Meditation) uraufgeführt, sichtlich zur Zufriedenheit des Komponisten. Auch das Publikum war durchweg begeistert und gratulierte sowohl Marino Formenti zur hervorragenden Interpretation wie auch Friedrich Cerha zu seinem Werk. Die Kombination der beiden Werke erschien für ein solches Konzert sehr gelungen, passte sie doch gut zur abendlichen Stimmung, ohne aber zum Einschlafen zu verleiten – im Gegenteil, sie regte zum konzentrierten Zuhören an. Schade, dass nur so wenige gekommen waren, um diesem sehr hörenswerten Ereignis beizuwohnen!

Notturni II fand am 31. Oktober statt, und war trotz Halloween (oder vielleicht gerade deshalb?) um einiges besser besucht. Am Programm standen George Benjamins Shadowlines, 6 Kanonische Präludien sowie eben Für Marino. Auch hier gelang es Marino Formenti, eine gute halbe Stunde lang alle Sinne des Publikums auf sich zu lenken und durch einfühlsames wie hochkonzentriertes Spiel niemanden – zu für ein solches Konzert doch eher ungewöhnlich später Stunde – einschlafen zu lassen. Die hohen Erwartungen, die man an den Pianisten stellt, wurden großteils erfüllt, und auch die Programmgestaltung kann als gewinnbringend bezeichnet werden.

Man darf also auf die beiden anderen Teile (am 14. und 23. November) gespannt sein!

 

London Sinfonietta

Große Erwartungen wurden in diesen Abend gesetzt, dementsprechend groß war auch die allgemeine Vorfreude auf das Konzert: Die London Sinfonietta unter Franck Ollu spielte im Rahmen der UK Collection von Wien Modern eine bemerkenswerte Auswahl zeitgenössischer britischer Musik.

Begonnen wurde der Abend mit George Benjamins At First Light, einem durch ein Gemälde des britischen Malers William Turner angeregten Stück. Mit großer Konzentration und Präzision wurden die fließenden, nebulösen Klänge umgesetzt, der erste Streich war also bestens gelungen.

Die Reise durch die britische zeitgenössische Musik setzten die London Sinfonietta und Franck Ollu mit Luke Bedfords Man Shoots Strangers from Skyscrapers fort, das durch den Film Das Gespenst der Freiheit von Luis Buñuel inspiriert ist. Während des Zuhörens entstand der Eindruck, dass es für das Stück keinen besseren Titel als den eben gewählten gebe – die Schüsse konnten gut herausgehört werden.

Simon Holts Lilith wiederum erzählte von einer dämonischen, mythischen Frauenfigur aus dem Sumerischen, Babylonischen und Hebräischen; Harrison Birtwistles Silbury Air folgte nach der Pause und handelt von einem mysteriösen Hügel bei Silbury Hill. Den Abschluss bildete Thomas Adès’ Living Toys, das in fünf Teilen ein wenig an Toy Story denken ließ: Beim Zuhören kommen leicht Gedanken an ein Kinderzimmer, wo Spielzeuge der Reihe nach zum Leben erwachen und sich durch den Raum bewegen.

Insgesamt konnte das Publikum auf einen gelungenen Konzertabend zurückblicken und sichtlich zufrieden applaudieren. Bleibt zu hoffen, dass die London Sinfonietta Wien (Modern) bald wieder einen Besuch abstattet, selbst wenn es keinen UK-Schwerpunkt gibt.

 

PHACE | contemporary music

Das Ensemble PHACE | contemporary music brachte am Dienstag Abend unter dem Dirigenten Simeon Pironkoff einige sehr innovative und unkonventionelle Stücke zur Aufführung.

Begonnen wurde der Abend mit Gerald Reschs Ein Garten. Pfade, die sich verzweigen, bei dem vor allem im Soloinstrument, der Viola, die Ver(w)irrung strukturell sehr gut auszumachen war.

Die Interpretation selbst war alles andere als verwirrt, sondern im Gegenteil sehr präzise: Als ZuhörerIn konnte man dem Geschehen gut folgen, sich durchaus sicher fühlen und musste sich nicht davor fürchten, womöglich nie ans Ziel zu gelanngen.

 

Mit Gérard Pessons Stück Mes béatitudes kam ein Werk zur Aufführung, das sehr zerrüttet erschien. Hier konnte man schon eher das Gefühl haben, sich eventuell zu verirren oder das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Das Ensemble hingegen schien sich bestens auszukennen – Respekt!

 

Das letzte Stück vor der Pause war eine Uraufführung: Arturo FuentesSuperfluidity II für Gitarre solo und kleines Ensemble. Im Programmbuch von Wien Modern erklärt er, dass er „eine Klangfarbenfluidität zwischen Gitarre und Ensemble erreichen [möchte], die den Klangraum so ‚erweitert’, als gäbe es andere, neue ‚Tiefen’, die von der Oberfläche aus wahrnehmbar sind.“ Auch hier ging es also um Verwirrung im weitesten Sinne, auch hier ging das Ensemble aber keineswegs verloren.

 

Nach der Pause wurde das Konzert mit Rebecca Saunders’ Dichroic seventeen fortgesetzt, mit einer interessanten Mischung an Instrumenten (Akkordeon, Klavier, E-Gitarre, zwei Schlagzeuge, Cello, zwei Kontrabässe), die ein doch sehr innovatives Hörerlebnis ermöglichten.

 

Mit Scena von Jonathan Harvey wurde der Abend höchst

dramatisch beschlossen: Die Violine als Soloinstrument durchschritt im Laufe des Stückes verschiedene Ereignisse, die eindrucksvoll komponiert und von der Solistin bestens umgesetzt wurden – ein akustischer Eindruck, der davon abhielt, müde aus dem Konzert zu gehen, obwohl es doch über zwei Stunden gedauert hatte.

 

Gratulation dem Ensemble und dem Dirigenten für den gelungenen Abend!

 

musikFabrik mit Enno Poppe

Das Programm sowie die InterpretInnen hatten offenbar viele Menschen angesprochen, und so war die Veranstaltung im Semperdepot (Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste) sehr gut besucht. Zurecht, denn die musikFabrik, Enno Poppe und Wolfgang Mitterer gaben ihr Bestes.

Eröffnet wurde das Konzert mit Cortège a ceremony von Harrison Birtwistle, das gleich zu Beginn beeindruckte. Die Soloparts waren dabei auf beinahe alle Instrumente gut verteilt, so dass fast jedeR MusikerIn gleichzeitig (wenn auch nur für kurze Zeit) SolistIn war.

Jonathan Harvey’s Round the Star and Back ließ sehr an die leisen, langsamen Stücke von Morton Feldman denken. Diese sind bekanntlich nicht jedermanns Sache, die Interpretation wurde aber vom Publikum dennoch sehr wohlwollend mit Applaus bedacht.

Das letzte Stück vor der Pause war Rebecca Saunders’ Stirrings Still. Dieses begann etwas schwungvoller, um dann auch immer mehr Anleihen an Feldman zu nehmen. Erläuternde Worte aus dem Programmbuch Wien Modern: „Stille existiert für Rebecca Saunders nur an einer scheinbaren Oberfläche, aus der sich Klänge lösen lassen. Was wir Stille nennen, ist für die englische Komponistin ein Knoten aus Lärm, Frequenz und Klängen [...]“

Jonathan Harveys Climbing Frame war der ideale Einstieg nach der Pause – die Klänge, die „an den endlos hoch wirkenden Wänden des Semperdepots“ (Programmbuch Wien Modern) hinaufkletterten, fingen das Publikum ein und zogen es in seinen Bann.

Little Smile von Wolfgang Mitterer bildete den krönenden Abschluss des Abends. Unter dem Dirigat von Enno Poppe und der Mitwirkung des Komponisten selbst leistete die musikFabrik hervorragende Arbeit. Die Elektronik war sehr sinnvoll eingesetzt, was ein stimmiges Gesamtbild ergab.

Der musikFabrik sei an dieser Stelle herzlich zur hervorragenden Arbeit gratuliert – die MusikerInnen hatten den Abend mit äußerster Konzentration und Präzision bestritten und so dem Publikum wie dem Semperdepot eine sehr besondere Veranstaltung beschert.

 

Oskar Serti geht ins Konzert. Warum?

Unter diesem Titel fanden am Wochenende zwei Abende im Konzerthaus statt, die fernab jedes "normalen" Konzertes lagen.

Auf den Spuren der imaginären Figur Oskar Serti wurde das Publikum auf eine knapp sechsstündige Reise geschickt, während der nicht nur Musik, sondern auch Visuelles sowie sogar Essbares geboten wurden.

 

Der Untertitel lautete Eine Nachdenklichkeit in sieben Teilen. Diese waren:

 

I. Am Bahnhof.

Eine kurze akustische Einführung bereitete das Publikum auf den Abend vor.

 

II. Das große Konzert I.

Im Großen Saal wurden vom Klangforum Wien unter Jean Deroyer zwei Werke präsentiert: Georges Asperghis’ SEESAW sowie Foucault’s Pendulum von Vladimir Tarnopolski.

 

III. Oskar Serti geht ins Konzert. Warum? Eine Motivsuche mit den MusikerInnen des Klangforum Wien.

An verschiedenen Orten waren Stationen eingerichtet, an denen jeweils eine kurze Episode aus Oskar Sertis Leben erzählt wurde. Das Publikum war aufgefordert, sich durch das Haus zu bewegen und so eventuell eine Antwort auf die Frage des Abends zu finden.

Teilweise war es schwierig, nicht den Faden zu verlieren, doch im Laufe der Zeit konnte man sich eine Strategie zurechtlegen, dieser Gefahr entgegenzuwirken.

 

IV. Die kleinen Konzerte.

Im Mozart- wie im Schubert-Saal wurden Beat Furrers Spur, Stefano Gervasonis Animato sowie Franco Donatonis Hot gegeben.

 

V. Die Vernissage.

Wieder in verschiedenen Räumen des gesamten Hauses waren "Ausstellungen" zu besichtigen. Parallel dazu gab es auch ein Buffett – wie bei einer richtigen Vernissage. Teilweise waren Bilder zu sehen, teilweise Installationen sowie Musik zu hören. Die MusikerInnen befanden sich während des Spielens in Vitrinen – Oskar Serti erlaubte zwar, auf den Instrumenten seiner Sammlung zu spielen, allerdings mussten diese in den Vitrinen belassen werden.

 

VI. collection serti von Gerald Resch.

Gerald Resch hatte den Erste-Bank-Kompositionsauftrag bekommen, sein Werk wurde im Rahmen der Veranstaltung uraufgeführt. Eine gelungene Raum-Klang-Komposition, bei der die MusikerInnen im Haupfoyer des Konzerthauses verteilt waren und so ein sehr beeindruckendes Hörerlebnis boten.

 

VII. Das große Konzert II.

Mit Bernhard Langs Differenz/Wiederholung 2 wurde der Abend beschlossen. Von den MusikerInnen zweifellos bestens präsentiert, stellte dieses Werk Teile des Publikums vor eine große Herausforderung – nach guten fünf Stunden, die bis dahin vergangen waren, war dieses zweite "große Konzert" für viele schon schwer zu verarbeiten.

 

Der Organisationsaufwand muss enorm gewesen sein, dennoch darf man sich wünschen, dass es solche Projekte auch in Zukunft geben wird. Da das Publikumsinteresse ziemlich groß war, besteht wohl Hoffnung auf Fortsetzung!

 

Europe Calling I

Leider sind nur sehr wenige Personen ins Casino Baumgarten gekommen, um den Oxbridge Singers unter Alexander Campkin zuzuhören, was wohl auch an der zeitlichen Überschneidung mit dem Zender-Gesprächskonzert im Konzerthaus und der Abgelegenheit des Aufführungsortes zu tun hatte.

Ein Besuch hätte sich aber durchaus gelohnt: Das Vokalensemble bot ein Programm zum Thema Liebe, in dem es mit neun Stücken (durchweg Ur- oder österreichische Erstaufführungen) alle drei Phasen des Verliebens (Lust, Anziehung, Bindung) sowie alle neun Hormone, die an diesem Prozess beteiligt sind, besang.

Viele der KomponistInnen waren anwesend und konnten den SängerInnen sowie deren Dirigenten Alexander Campkin zu ihrer hervorragenden Leistung gratulieren. Der Aufführungsort kam den InterpretInnen akustisch sehr entgegen und verstärkte die Klangeindrücke auf positive Weise. Bis auf ein Stück (Mother Earth von František Chaloupka) wirkten sie souverän und präsentierten die Werke sehr präzise – in Mother Earthwaren einige Unsicherheiten zu hören, was dem positiven Gesamt-eindruck des Abends jedoch keinen Abbruch tat. 

 

Sabine Töfferl