20 Jahre Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik
Ursula Kneihs im Gespräch mit Jakob Lajta
Die Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik werden seit 20 Jahren vom Institut Ludwig van Beethoven (Tasteninstrumente in der Musikpädagogik) der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien veranstaltet. Ihr Jubiläum feierten sie von 6. bis 10. Februar mit einer Hommage à John Cage.
Jakob Lajta spricht mit Prof. Ursula Kneihs, Institutsvorständin und Mitbegründerin der Wiener Tage, über Entwicklungen in der Klaviermusik der letzten 20 Jahre, über Vorbildwirkungen der Klavierlehrer und über Qualitätskriterien zeitgenössischer Musik.
terz: Die Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Was hat dich und deine Kollegen vor 20 Jahren dazu bewogen, die Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik zu initiieren?
Kneihs: Wir waren eine Gruppe von drei Lehrern, die sich sehr viel mit zeitgenössischer Musik beschäftigt hat und gesehen hat, das ist etwas, das hier an der Musikuniversität noch fehlt. Im normalen Klavierunterricht kommt natürlich zeitgenössische Musik vor, aber es ist nicht möglich, sich damit auf intensive Art und Weise auseinanderzusetzen und sich einmal konzentriert mit dem Thema zu beschäftigen. Man studiert im Klavierunterricht z.B. „Water Music“ von Cage oder man macht mit jemandem ein Stück für präpariertes Klavier, aber alle diese Werke an einem Ort versammelt zu haben, gibt einen völlig anderen Einblick. Es ist kein Problem, wenn ich eine Beethoven-Sonate studiere, mir alle Beethoven-Sonaten zu Gemüte zu führen, in einem Konzertzyklus oder über Aufnahmen. Aber es ist nicht so einfach, z.B. alle Cage-Werke an einem Ort zu haben. Man darf auch nicht vergessen, dass damals Wien Modern noch nicht so präsent war.
Die zweite Idee hinter den Wiener Tagen war: Normale Musik wird von Lehrern unterrichtet und nicht von Komponisten. Die meisten unserer Studierenden haben auch noch nie einen lebenden Komponisten gesehen, geschweige denn, die Möglichkeit gehabt, mit einem zu arbeiten. Und das ist natürlich etwas anderes. Natürlich können und müssen wir als Lehrer auch begründen, warum das ein bisschen lauter und das ein bisschen leiser sein soll, aber das Gesamtkonzept zu erklären, in dem so eine Musik steht, wie es zu diesem Stück gekommen ist, das kann ein Komponist schon besser. Und ganz ehrlich, es hat mich auch immer interessiert zu wissen, was ein Komponist selbst zu seinen Werken zu sagen hat.
terz: War von Anfang an klar, dass die Wiener Tage nichts Einmaliges, sondern eine jährlich wiederkehrende Veranstaltung sein sollen?
Kneihs: Nein, das hat sich aus dem großen Erfolg der ersten Wiener Tage ergeben. Wir haben sie dann ein zweites Mal veranstaltet, wieder mit Erfolg, und mit der Zeit waren sie etabliert.
terz: Ein wesentlicher Bestandteil der Wiener Tage ist ja, dass ein Komponist vor Ort ist. Nach welchen Kriterien habt ihr jeweils die Komponisten eingeladen?
Kneihs: Ob ein Komponist eingeladen wird, hängt natürlich davon ab, ob der Komponist überhaupt für Klavier geschrieben hat, und wie schwer die Stücke sind. Sind also die Stücke überhaupt spielbar für unsere Studierenden.
Die Edition Peters hat einmal gemeint, wir sollen Brian Ferneyhough einladen, aber das hätte keinen Sinn gehabt. Seine Musik ist einfach zu schwer, das schaffen unsere Studierenden nicht. Die vermeintliche Spielbarkeit war auch mit ein Grund, warum so viele Teilnehmer zu György Kurtág gekommen sind: Von ihm gibt es sehr anspruchvolle Stücke wie die „Splitter“, aber es gibt auch sieben Bände „Játékok“.
Ein ganz wichtiges Kriterium für die Einladung eines Komponisten ist natürlich auch die Qualität seiner Musik. Und er muss auch „ja“ sagen, wenn wir ihn eingeladen haben. Bei Wolfgang Rihm mussten wir akzeptieren, dass er lieber beim Komponieren bleiben und nicht auf eine Woche seiner Arbeit verzichten wollte.
terz: Du hast den Schwierigkeitsgrad als Kriterium angesprochen: Es gäbe an der Musikuniversität wahrscheinlich schon Konzertfachstudierende, die auch sehr schwierige Stücke spielen könnten, allerdings nehmen diese kaum an den Wiener Tagen teil. Gibt es einen Grund, warum das Interesse der Musikpädagogik-Studierenden so viel höher ist als das der Konzertfachstudierenden?
Kneihs: Ich glaube, es gibt einen ganz einfachen Grund: Man braucht nur zu schauen, wie viele Lehrer von unserer Pädagogik-Abteilung zeitgenössische Musik spielen und welches Repertoire die Lehrer des Konzertfachs spielen. Wenn man es nicht selber tut, dann kann man auch seine Studierenden dazu nicht motivieren. Als Lehrer hat man ja eine gewisse Vorbildfunktion, Dinge an die man glaubt, auch selber zu tun. Es hat ja keinen Sinn, einem Studenten zu sagen: „Geh, spiel zeitgenössische Musik“, und selber will man über Debussy und Bartók hinaus nichts spielen, das kann nicht funktionieren.
Und es ist ja typisch: Die Konzertfachprofessoren wurden jedes Jahr eingeladen, die Wiener Tage auch ihren Studierenden bekannt zu machen, und in 20 Jahren hatten wir einen einzigen Konzertfachstudenten, und den, weil er mit einem Pädagogikstudenten befreundet war.
Es ist überhaupt interessant, wir haben nicht nur keine Konzertfachstudenten, obwohl die Wiener Tage offen für alle sind, wir haben auch fast nie einen Kompositionsstudenten, der herschaut, obwohl ein Komponist vor Ort wäre.
Das ist aber auch der Grund, warum die Wiener Tage weiter existieren müssen, warum wir weiter tun: Mit Ausnahme von Wien Modern, das sich in den letzten 20 Jahren wirklich gemausert hat, gibt es sonst in Wien nicht so viele Möglichkeiten, zeitgenössische Musik wirklich hörend zu erfahren.
terz: Die Teilnehmer sind also hauptsächlich zukünftige Lehrer, die größtenteils Klavier unterrichten werden. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum im Rahmen der Wiener Tage der Mauricio Kagel Kompositionswettbewerb gegründet wurde, um zeitgenössisches Klavierrepertoire zu bekommen, das eine hohe Qualität hat, und mit dem man mit Kindern und Jugendlichen arbeiten kann. Ist das Konzept aufgegangen, war der erste Wettbewerb erfolgreich?
Kneihs: Ja, absolut! Das liegt zum einen an der Art, wie dieser Wettbewerb abläuft, dass also öffentlich diskutiert wird und es spannend für die Leute ist zuzuhören: Man hört ein Stück, denkt sich etwas dazu, und dann hört man große Komponisten darüber reden, was sie über das Stück zu sagen haben. Das bringt eine Vertiefung und so viele interessante Aspekte herein, und wir haben ja auch die Möglichkeit, diese Dinge zu dokumentieren.
Es war aber nicht nur der Ablauf spannend, sondern auch die Ergebnisse. Bei den 190 eingereichten Stücken waren absolut Missverständnisse dabei, was man unter zeitgenössischer Musik verstehen könnte, Missverständnisse, was es heißt für Kinder oder Jugendliche zu komponieren und Missverständnisse, was Qualität betrifft. Es gab aber auch Komponisten, die sich sehr mit der Frage auseinandergesetzt haben, was sie eigentlich vermitteln wollen, und gerade der erste Preisträger, Clay McMillan, hat sich zu jedem Stück Gedanken gemacht, was das jetzt in der Welt eines Kindes bedeuten könnte, was Gesprächsstoff sein könnte zwischen Lehrer und Jugendlichen, dass wirklich auch Themen für den Unterricht hereinkommen.
Dass die Ergebnisse wirklich wertvoll waren, sieht man auch daran, dass die Universal Edition alle drei Preisträgerstücke publiziert hat und bereits zugesagt hat, das auch beim nächsten Wettbewerb zu tun.
terz: Wir reden jetzt schon eine Weile über zeitgenössische Klaviermusik. Was bedeutet für dich eigentlich „zeitgenössisch“? Was ist „zeitgenössische Musik“?
Kneihs: Ich finde es spannend, was „jetzt“ passiert, und für mich ist das das Wesen der zeitgenössischen Musik. Für mich bedeutet es „dranbleiben“ und sich mit Komponisten auseinanderzusetzen, auch wenn man den Namen zum ersten Mal liest, und nicht darauf zu warten, dass die Geschichte entscheidet, welcher Komponist der nächste Klassiker wird.
terz: Was waren für dich in den letzten Jahren wesentliche Entwicklungen der zeitgenössischen Klaviermusik, wo du gemeint hast, da ist es spannend dranzubleiben?
Kneihs: Was für mich so spannend ist, ist, dass es eine so große Bandbreite gibt. Wenn Georg Nussbaumer für Klavier schreibt, ist das grundsätzlich anders als wenn Robert HP Platz für Klavier schreibt oder György Kurtág.
Zu den Entwicklungen: George Crumb war Gast bei den zweiten Wiener Tagen. Damals gab es eine gewisse Distanz, wenn ein Komponist einen gedämpften Ton auf den Saiten oder einen Flageolettton verwendet hat. Dann hat man gesagt, der schreibt wie George Crumb, und man durfte es eine Zeit lang nicht tun, weil es sozusagen die Imitation eines Komponisten war. Es musste immer etwas Neues geschehen. Mittlerweile wissen wir, dass es kein Patent auf einen bestimmten Klang gibt. Es ist also eine gewisse Befreiung. Alles Material, das entdeckt wurde, steht zur Verfügung. Und es hängt davon ab, was man mit diesen Materialien macht, und das geht auch ein bisschen zurück zu der Frage, was zeitgenössische Musik ist. Es gab ja eine Zeit, vor allem bei Streichern und Bläsern, wo man die Geräuschhaftigkeit entdeckt hat, oder die Multiphonics. Es sind also viele Elemente hereingekommen, die vorher in unserer Musik nicht vorgekommen sind. Zunächst hat man gedacht, wenn man solche Elemente verwendet, ist es schon zeitgenössische Musik. Aber darum geht es nicht. Es geht ja darum, wie sie eingesetzt werden, damit etwas entsteht, was wir als komponierte Musik verstehen. Also einerseits entstanden neue Möglichkeiten, andererseits auch neue Schwierigkeiten der Komponisten: Es reicht nicht, wenn ich einen Ton verwende, der sozusagen als „zeitgenössisch“ empfunden wird. Ich muss mir bei jedem überlegen, was ich damit anfange.
Zu den zuvor angesprochenen Materialien fällt mir noch ein: Einer der Aspekte, mit dem sich Komponisten in den letzten 20 Jahren auseinandergesetzt haben, sind die Resonanzen, oder das Ende von Klängen, die Schattenwelt des Klanges sozusagen – also nicht, wie er erklingt, sondern was dahinter auftaucht, z.B. in Helmut Lachenmanns „Serynade“, wo Töne immer wieder anders ausgefiltert werden.
terz: Du hast jetzt einige Komponisten mit sehr unterschiedlichen Stilen erwähnt, die alle in den letzten zwanzig Jahren zu Gast bei den Wiener Tagen waren. Was haben sie alle gemeinsam, was zeichnet sie als zeitgenössische Komponisten aus?
Kneihs: Integrität in dem was sie tun, dazugehörig Verantwortungsbewusstsein, und eine spannende Verwirklichung ihrer Vorstellungen.
terz: Wie sieht dein persönliches Resümee über 20 Jahre Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik aus?
Kneihs: Ich bin wahnsinnig froh, dass diese 20 Jahre stattgefunden haben, dass die Wiener Tage mitzeichnen konnten, was es an Entwicklungen, was es an spannenden Dingen gab. Das ist natürlich auch das Verdienst von Manon Liu Winter und Johannes Marian, die sie jahrelang betreut haben. Ich finde es wunderbar, dass wir immer Komponisten gefunden haben, die kommen wollten und dass es immer Studierende gab, die sich dafür interessierten. Und irgendwie auch, dass wir uns das geben durften.
Es ist erstaunlich, dass jedes Jahr anders ist, dass es aber doch in jedem Jahr eine gewisse Atmosphäre bei den Wiener Tagen gibt. Diese Atmosphäre entsteht, weil es ein gemeinsames Interesse für eine Sache gibt und keinerlei Rivalität zwischen den Studierenden. Es ist eine unglaubliche Solidarität zwischen den Teilnehmern da, und es wurde uns immer wieder gesagt, dass die Wiener Tage auch für die Studierenden etwas Besonderes sind.
Das ist das Schönste, was ich darüber sagen kann.
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