Vermittlung Magazin

„Zu einem Cluster im Fortissimo hat keiner das Bedürfnis, sich zu küssen.“

Markus Lehmann-Horn im Gespräch

Markus Lehmann-Horn, trotz seiner erst 35 Jahre bereits erfolgreicher Komponist und Hindemith-Preisträger, traf sich mit Axel Petri-Preis im Café Prückl zum Gespräch. Im Rahmen der Vorbereitungen zu seiner Oper „Woyzeck 2.0 – Traumfalle“, die am 17.4.2012 von der Neuen Oper Wien in der Wiener Kammeroper uraufgeführt wird, und seiner Mitwirkung am Vermittlungsprojekt „junge oper wien“ sprach er über die Bedeutung von Kompositionswettbewerben, seine neue Oper und seine unterschiedlichen Herangehensweisen an Film- und Konzertmusik.

 

terz: Du bist sowohl ein erfolgreicher Filmkomponist als auch Komponist von Musik für die Oper und den Konzertsaal. Muss man eine gewisse Schizophrenie kultivieren, um diesen Spagat zu schaffen?

 

Lehmann-Horn: Ich unterscheide nicht zwischen U und E, sondern zwischen guter und schlechter Musik, denn es gibt Dinge, die ich nicht machen würde. Es ist eine Tradition, dass Komponisten immer auch Aufträge komponiert haben. Ich würde keinen Sonntagabend-Film für das ZDF machen, weil mich das nicht interessiert. Und ich könnte das wahrscheinlich auch gar nicht. Aber interessante Filmmusik zu schreiben, ist für mich künstlerisch tragbar und kann auch sehr schön sein. Es gibt einem außerdem finanziell einen Spielraum, sich anderen Dingen zu widmen. Insofern ist es für mich eine gute Symbiose, das zu tun.

 

terz: Ergeben sich auch Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Bereichen?

 

Lehmann-Horn: Extrem. Die Filmmusik ist zum Beispiel nur wirkungsbezogen. Da will man von mir ausschließlich, dass ich eine Wirkung erzeuge. Wie genau ich das mache, das entscheidet der Regisseur oder ich mit ihm zusammen. Es geht aber nicht darum, welches Material ich verwende. Das interessiert niemanden. Ganz anders bei der E-Musik, wo man auch mal sucht, experimentiert und sich auch mit Material beschäftigt. Es ist aber auch nicht schlecht, sich über eine Wirkung klarzuwerden. Insofern befruchtet sich das sehr stark, weil man spürt, dass die Menschen zum großen Teil auf bestimmte Klänge bestimmte Reaktionen zeigen, da kann man dagegen reden so viel man will. Zu einem Cluster im Fortissimo hat keiner das Bedürfnis, sich zu küssen, außer es stimmt was nicht. Insofern werde ich da schon oft auf den Boden geholt, was die Wirkung angeht.

 

terz: Ist deine Herangehensweise an den Kompositionsprozess, ob du Filmmusik komponierst, oder beispielsweise eine Oper, eine vollkommen andere?

 

Lehmann-Horn: Das ist tatsächlich vollkommen anders. Die Oper besonders, aber auch natürlich jedes andere Stück, ist unabhängig in Sachen Form und Gestaltung und der Film ist sehr abhängig. Das heißt, die Länge wird bedingt durch die Länge der Szene, das Wesen der Musik ist durch den Inhalt der Szene bedingt und unter Umständen gibt es noch weitere Parameter wie Dialoge, die ich berücksichtigen muss. Ich kann nicht im Fortissimo Musik unter einen Dialog legen, das ist heute nicht mehr die Ästhetik, die man sich vorstellt. Das heißt, ich habe im Film nicht so viele Auswahlmöglichkeiten. In der E-Musik habe ich viel mehr Freiheiten, was es auch schwieriger macht. Deshalb schreibe ich die Konzertmusik zuerst auch immer mit der Hand auf Papier, weil ich da ganz unabhängig im Tempo bin.

 

 

Bei der Filmmusik tippt man das nach wenigen Skizzen oft schon in den Computer, denn der Regisseur erwartet ja ein Klangergebnis. Er will hören, was ich da mache, während bei der Konzertmusik es einzig und allein wichtig ist, dass das Notenbild so ist, dass der richtige Klang daraus entstehen kann.

 

terz: Bist du jemand, der vor dem tatsächlichen Kompositionsakt viel skizziert?

 

Lehmann-Horn: Ja. Sehr viel.

 

terz: Wie sehen diese Skizzen aus? Arbeitest du eher graphisch oder gibt es in diesem Stadium auch schon konkrete Tonhöhen?

 

Lehmann-Horn: Es gibt beides. Graphik funktioniert für mich vor allem für eine Verlaufsform. Ich überlege mir zum Beispiel, wie lang ich eine Idee ausbauen möchte. Ich habe zum Beispiel eine musikalische Idee und ein Tempo. Dann überlege ich mir, dass ich 3 Minuten mit dieser Idee arbeiten möchte. Daraus ergibt sich für mich eine bestimmte Taktzahl. Das ist deshalb wichtig, weil man aus meiner Erfahrung zu schnell fertig ist, wenn man gleich darauf los schreibt. Ich muss mich dazu zwingen, den Verlauf immer präsent zu haben.

 

terz: Wann und wie bist du auf die Vorlage zu deiner Oper „Woyzeck 2.0 - Traumfalle“, die Novelle „Suchbild Woyzeck“ von Michael Schneider gestoßen?

 

Lehmann-Horn: Gerhilde Winbeck (die Frau von Heinz Winbeck, Kompositionslehrer von Markus Lehmann-Horn, Anm.) hat die Novelle gelesen und mich darauf angesprochen, dass sie sie so berührt hat und doch ein toller Opernstoff wäre. Ich war ohnehin schon zwei Jahre auf der Suche nach einem guten Stoff und habe die Novelle gleich gelesen. Schnell habe ich bemerkt, dass die Geschichte drei Ebenen hat, die mich sehr interessieren.

Ich wollte eine Geschichte haben, keine Reflexionshandlung, sondern eine Oper mit Handlung. Ich wollte eine große Fallhöhe und ich wollte auch eine außergeschichtliche Ebene, in dem Fall die Auseinandersetzung mit der Vorlage von Berg und gleichzeitig auch die Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb und der Kunst an sich. In Schneiders Novelle geht es zentral um das Regietheater, um den Theaterbetrieb an sich und auch um das Mäzenatentum.

 

terz: Die Textvorlage zu „Woyzeck 2.0 - Traumfalle“ arbeitet stark intertextuell. „Woyzeck“ von Büchner fungiert als Folie, es gibt Bezüge zum „Sandmann“ von ETA Hoffmann, Tennessee Williams’ „Glasmenagerie“ kommt vor, ebenso Shakespears „Othello“. Wie schlägt sich das auf deine Musik nieder?

 

Lehmann-Horn: Die Stücke, die im Libretto zu „Woyzeck 2.0 – Traumfalle“ vorkommen, sind fast alles Stücke, in denen Klara mitspielt und Opferrollen übernimmt, was natürlich ein Hinweis auf die Opferrolle ist, in der sich Klara selbst sieht und die sich am Ende des Stücks umkehrt. Das schärft also den Blick für den Charakter der Klara. Gleichzeitig sind die Stücke wie Zitate. Ich habe in meiner Musik zum Beispiel auch wörtliche Zitate von Berg, weil ich es schön finde, wenn man einen Verweis nach außen hat, der noch eine zusätzliche Dimension hereinbringt.

 

terz: Du arbeitest Ausschnitte aus Bergs „Wozzeck“ ein, du verwendest auch Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, verwendest du noch weitere Zitate in „Woyzeck 2.0 - Traumfalle“?

 

Lehmann-Horn: Die ersten 30 Sekunden von „Woyzeck 2.0“, in der Partitur überschrieben mit „Explosion Wozzeck“, bestehen überwiegend aus über- und hintereinander geschichteten Zitaten aus Alban Bergs „Wozzeck“. Weiterhin bilden die Schlussklänge des „Wozzeck“ die Überleitung in die erste Szene meiner Oper, es beginnt die Premierenfeier. Später ist noch das „Wir arme Leut“- Thema aus Bergs „Wozzeck“ in verschiedensten Varianten in meine Musik eingewoben, nicht zuletzt als verjazzte Bühnenklavierversion. Auch der schöne „Ländler“ aus Bergs Violinkonzert blitzt einmal in einem Bild auf.

 

terz: Ist Alban Berg generell ein Komponist, der dir sehr am Herzen liegt?

 

Lehmann-Horn: Alban Berg ist ein faszinierender Komponist, dem es gelungen ist, trotz strukturierter und meist zwölftöniger Kompositionsweise dennoch sinnliche und ergreifende Musik zu komponieren. Außerdem hat er mit dem „Wozzeck“ und der „Lulu“ zwei Meilensteine für das Musiktheater des 20. Jahrhunderts geschaffen, die so enorm viel Innovation beinhalten, dass es erstaunt, wie „zeitgenössisch“ die Wirkung auch heute noch ist.

 

terz: Ist die Kritik am Theaterbetrieb, die in der Novelle und letztlich auch in deinem Libretto geäußert wird, eine Kritik, die du teilen kannst?

 

Lehmann-Horn: Theaterbetrieb und gleichzeitig auch Musikbetrieb. Ich möchte es gar nicht unbedingt Kritik nennen, sondern viel mehr vielleicht eine Auseinandersetzung, die wir schon spüren. Als Komponist fragt man sich immer: Ist es angemessen, dieses Stück zu schreiben, ist es zeitgenössisch, ist es im Jetzt und Hier das richtige Stück, wie soll oder wie könnte es klingen? Gleichzeitig wird man mit der Realität konfrontiert, dass man Zahlen bringen muss und dass die Theater sehr, sehr stark auf ihre Auslastungszahlen schauen müssen. Und dass es oft auch eine starke Reibung gibt, dass viele schöne Dinge nicht passieren können, weil man zu viel Angst hat.

Der Kunstbetrieb an sich ist ja schon auch ein gewisser Kreis, der außerhalb von Wettbewerben viel mit Interna funktioniert. Da werden gewisse Leute immer wieder gespielt, oft aufgeführt. Andere werden wieder überhaupt nicht aufgeführt, weil sie irgendjemand ablehnt. Das spürt man als Künstler sehr stark. Und das ist auch etwas, das einen sehr beschäftigt: Warum wird dieses Stück gespielt und meines nicht einmal angeschaut?

 

terz: Du hast bereits einige Kompositionspreise gewonnen, unter anderem den Gerhard-Schedl-Musikpreis mit „Woyzeck 2.0 – Traumfalle“ und den Hindemith-Preis. Wie schätzt du die Bedeutung der Preise für deine Laufbahn ein?

 

Lehmann-Horn: Das Wichtigste sind bei den Preisen die Aufführungen. Das Wichtigste für einen Komponisten und auch das Schwierigste ist es, gute Aufführungen zu bekommen. Denn schlechte Aufführungen bringen einem nichts. Was etwas bringt, sind Aufnahmen und Aufführungen, die gut sind, nur dann existiert das Stück. Wir sind heute in einer medialen Welt und die Fähigkeit, sich aus Noten etwas abzuleiten, ist fast nicht mehr vorhanden. Natürlich ist das zum Teil auch sehr kompliziert. Wenn ich heute ein Stück auf die Welt bringen will, dann muss ich es spielen und die Aufführung muss auch so sein, wie ich sie mir vorstelle. Und das ist eben das Wichtige an Wettbewerben, dass man die Chance bekommt, mit einem guten Ensemble etwas einzustudieren und aufzuführen.

Martin Grubinger, der ein gewichtiges Wort bei der Auswahl des Siegerwerks für den Hindemith-Wettbewerb hatte, hat in den mittlerweile zwei Jahren leider noch keine Zeit gefunden, mein Stück aufzuführen. Ich hoffe noch, dass es etwas wird, weiß es aber nicht.

 

terz: Kannst du schon etwas über die nächsten großen Projekte erzählen, die vor dir liegen?

 

Lehmann-Horn: Ich habe zwei Werke in Planung genommen. Das eine ist ein Konzert für Orchester, das sehr rhythmisch sein soll und dann möchte ich gerne ein Bratschenkonzert schreiben. Das werde ich aber nur tun, wenn der Interpret meiner Wahl, mit dem ich noch sprechen werde, auch zusagt.

 

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