"Meine künstlerische Heimat ist zwischen den Grenzen"
Christian Muthspiel im Gespräch
Mit Axel Petri-Preis sprach er über seine künstlerische Heimat, Wechselwirkungen zwischen seinen vielfältigen Tätigkeiten und darüber, warum er rechtzeitig sein Studium abgebrochen hat.
terz: Herr Muthspiel, sie sind als Posaunist, Pianist, Dirigent, Komponist, Arrangeur, zuletzt auch als Maler tätig. Was würden Sie denn als Ihren künstlerischen Mittelpunkt oder Ihre künstlerische Heimat bezeichnen?
Christian Muthspiel: Meine künstlerische Heimat ist zwischen den Grenzen, zwischen den Genres; das Unterwegs-Sein auf der Suche nach Entdeckungen; das offen und neugierig Bleiben; auch das Einzelkämpfertum. So anstrengend es auch immer wieder sein kann, keiner "Szene" anzugehören, so sehr genieße ich auch meine Freiheit, die durch die Nicht-Zugehörigkeit entsteht. Ich bin absolut mein eigener Herr und versuche, meine Schwerpunkte jeweils nach dem Lustprinzip zu setzen.
terz: Welche Wechselwirkungen ergeben sich für Sie aus Ihren unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern?
Christian Muthspiel: Die gegenseitige Befruchtung der unterschiedlichen Tätigkeiten ist von großer Wichtigkeit für mich: der Komponist hilft dem Dirigenten, der Jazzposaunist inspiriert den Komponisten, der Dirigent kann dem Komponisten zu Praxistauglichkeit verhelfen, der Maler schafft Abstand zur Musik und so weiter.
terz: So wie in Ihren ausübenden Tätigkeiten sind Sie auch als Komponist enorm vielseitig. Vom Jazz bis zur komponierten Neuen Musik decken Sie viele Bereiche ab. Sollte ein Komponist Ihrer Ansicht nach in der Lage sein, in verschiedenen Stilen zu komponieren?
Christian Muthspiel: Das würde ich nicht allgemein als Qualität eines Komponisten fordern. Schön ist doch, dass viele Menschen, die künstlerisch arbeiten, so unterschiedlich sind und ihre ihnen adäquate Arbeitsweise (er)finden. Es gibt solche, die ein Leben lang sehr konzentriert in einem Feld tätig sind, andere, so wie ich, brauchen ständige Abwechslung als Motor. Für den einen ist die lebenslange Konzentration auf ein Thema der richtige Weg, für den anderen die Abwechslung, der Wechsel, das Spontane. Weder der eine noch der andere Weg ist a priori besser: die Qualität der entstandenen Arbeiten und vor allem die Entwicklung zählen.
terz: Gibt es Komponisten, von deren Musik Sie sich inspiriert fühlen, mit denen Sie sich in gewisser Weise musikalisch verbunden oder verwandt fühlen?
Christian Muthspiel: Sehr, sehr viele: Man ist ja ständig von aller Musik, die man gehört hat und hört und noch hören wird, beeinflusst. Wer das bestreitet, lügt. Bei mir geht das von John Dowland bis Prince, von Berlioz bis Berg, von Schubert bis Miles Davis. Und natürlich auch viele Formen der Volksmusiken dieser Welt sind wichtig für mich.
terz: In Ihrer Biografie schreiben Sie, Sie hätten Ihre Studien rechtzeitig und freiwillig abgebrochen. Wie genau ist das zu verstehen?
Christian Muthspiel: Darunter ist zu verstehen, dass ich wahrlich rechtzeitig aus Graz weggegangen bin, drei Jahre vor Ende des Studiums und vor allem bevor es dort zu gemütlich wurde. Man kann relativ einfach zu Hause eine Lokalgröße werden, es sich bequem einrichten und langsam Energie, Neugierde, Risikobereitschaft und Unabhängigkeit verlieren. Das wollte ich nicht. So bekam ich auch die großartige Möglichkeit, an der "School of Fine Arts" in Banff/Kanada weiterzulernen und vor allem auch meine eigenen Projekte und Ideen zu verwirklichen.
terz: Zuletzt zeigt sich bei Ihnen die Tendenz, immer häufiger auch als Dirigent tätig zu sein. Geben Sie eigene Werke gerne an andere Dirigenten ab oder dirigieren Sie sie doch lieber selbst?
Christian Muthspiel: Ich dirigiere eigene Werke am liebsten selbst, was nicht heißt, dass andere Dirigenten das nicht sehr gut machen können (und da hatte ich ja auch schon sehr schöne, aber auch enttäuschende Erfahrungen). Aber ein eigenes Werk selbst zu dirigieren heißt, bei der (Wieder)geburt anwesend und gestaltend zu sein. Und niemand kennt meine eigenen Werke besser als ich selbst.
terz: In Ihren Werken kombinieren Sie häufig auskomponiertes Material mit improvisatorischen Teilen. Welche künstlerischen Möglichkeiten und ästhetischen Konsequenzen ergeben sich für Sie daraus?
Christian Muthspiel: Das stimmt nur bedingt: Alle meine Werke für Orchester, mit und ohne Solisten, also z.B. Violinkonzerte, Doppelkonzerte, Klavierkonzert etc. sowie meine Kammermusik (wie die Liederzyklen) sind vollständig durchkomponiert, ohne eine Sekund Improvisation. Nur in meinen Jazz- und Performanceprojekten, wie der Yodel Group, meinem Trio, dem Jandl-Solo etc., gibt es diese Mischung, die im Jazz aber üblich ist. Ich trenne sehr genau, bin auch insofern KEIN Crossover-Musiker.
terz: An der Konservatorium Wien Privatuniversität erarbeiten Sie vom 21. bis 25. Mai mit Studierenden ein Programm im Rahmen der Reihe Carte Blanche. Ist Ihnen die Arbeit mit jungen MusikerInnen ein Herzensanliegen?
Christian Muthspiel: Das ist die schönste Form des Weitergebens: Ein echtes Konzertprojekt, ein ganzes Programm zu erarbeiten und dann aufzuführen. Wie im echten Leben. Auf diese Art arbeite ich wahnsinnig gerne mit jungen Musikerinnen und Musikern zusammen und mache das hin und wieder an Unis in verschiedenen Städten und Ländern. Ich unterrichte ansonsten nicht, da ich den Regelunterricht für falsch halte und in diesem System der musikuniversitären Strukturen untergehen und verzweifeln würde.
terz: Wie genau wird Ihre Arbeit mit den Studierenden bei Carte Blanche aussehen?
Christian Muthspiel: Wir proben vier Tage nach einem genauen Probenplan, nachdem das Notenmaterial schon Monate vorher ausgegeben wurde. Es werden Proben sein, wie sie auch mit professionellen Orchestern, Ensembles und Bands stattfinden. Was dann im Detail zu tun ist, sehe und höre ich erst in den Proben.
terz: Was erwartet die ZuhörerInnen beim abschließenden Konzert?
Christian Muthspiel: Ein Programm, welches mit Liedgesang beginnt (Reisekadermelodien für Mezzosopran, Viola und Klavier, für Angelika Kirchschlager geschrieben), dann in ein großbesetztes Ensemblestück mündet (Little Big Snare Drum Dance) und welches nach der Pause einen Jazzteil aufweist, nämlich Ausschnitte aus meinen beiden CDs mit Christian Muthspiel´s Yodel Group. Es werden also Studenten der Jazzabteilung meine Band "nachstellen".
terz: Welchen Tipp würden Sie einem jungen Musiker/ einer jungen Musikerin mitgeben?
Christian Muthspiel: Einen langen Atem haben. Realistisch und zugleich risikobereit sein. In sich hineinhorchen, wo der Weg hingehen könnte. Sich vom Markt nicht unterkriegen lassen.
Das ist alles leicht gesagt, aber man muss sich bewusst machen, dass der Weg in den meisten Fällen ziemlich steinig und mühsam sein wird, dass es sich aber lohnen kann und man sehr viel zurückbekommt!
LINKS:
Konservatorium Wien Privatuniversität