Vermittlung Magazin

Klangliches Flimmern

Peter Jakober im Gespräch

Anlässlich des musikprotokoll 2012 traf Michael Bertha den aufstrebenden, charismatischen Komponisten Peter Jakober und sprach mit ihm über seinen musikalischen Werdegang, kompositorische Einflüsse und seine Vorliebe für musikalische Abwärtsbewegungen.

 

terz: Deine Kompositionen sind seit einigen Jahren schon fester Bestandteil des im Laufe des Steirischen Herbstes stattfindenden ORF-musikprotokolls; von einem Gitarrenquartett über eine im Jahre 2010 uraufgeführte Komposition für eine tollkühn zusammengelötete Blechblasinstrumentenkonstruktion, die Molekularorgel – wo ich auch selbst als Instrumentalist mitwirkte – bis hin zu den heurigen Aufführungen deines 1. Streichquartetts und einer Komposition für analogen Synthesizer, Live-Elektronik und Ensemble mit dem Titel Dort. Wie fühlst du dich als gebürtiger Steirer, wenn deine Kompositionen sozusagen in deiner Heimat aufgeführt bzw. auch uraufgeführt werden?

 

Jakober: Das ist immer sehr schön und das Festival an sich ist jedes Jahr gut organisiert. Auch macht es einfach Spaß und dieser gewisse Heimatbezug hat für mich etwas Berührendes. Außerdem habe ich in Graz studiert und da denkt man sich als junger Kompositionsstudent: Es wäre schon cool, wenn es einmal so weit kommt, im musikprotokoll gespielt zu werden. Und wenn diese Situation dann eintrifft, ist es natürlich ein ganz besonderes Gefühl.

 

terz: Zu Beginn möchte ich über deine Klangsprache sprechen. In deinen Kompositionen ist eine eigene, spezifische Klangsprache herauszuhören, die sich – jetzt einmal überspitzt formuliert – von anderen durchaus abhebt und somit aus dem häufig vorherrschenden "Einheitsbrei" der meist inflationär verwendeten "Geräuschkulissenmalerei" hervorsticht. Wie würdest du deine Klangsprache allgemein beschreiben bzw. charakterisieren?

 

Jakober: Meine Klangsprache in Worte zu fassen, fällt mir schwer. Ich kann nur ungefähr sagen, worum es mir dabei hauptsächlich geht. Der Filmemacher Peter Kubelka drückt das sehr schön aus: Wenn er einen Film macht, denkt er immer an den idealen Zuseher. Und dieser ideale Zuseher ist eigentlich kein anderer als er selbst, mit der ganzen Kritik, die er an sich stellt. So geht es auch mir. Ich versuche immer an den Hörer zu denken und gewissermaßen Klarheit zu schaffen, um dann wieder den Boden wegzuziehen. Das ist für mich etwas ganz Wichtiges. Auch versuchte ich in meiner Komposition Dort eine Mischung aus Ensembleklang und analogem Synthesizer zusammenzustellen, die eine gewisse Verwirrung erzeugen sollte. Das fasziniert mich und ist ein Element in meiner Musik. Auch verwende ich häufig rhythmische Ungleichzeitigkeit und Gleichzeitigkeit sowie Glissandobewegungen, die in meinen Kompositionen sehr stark vertreten sind.

 

terz: Um auch auf deine musikalische Sozialisation und in weiterer Folge auf deine musikalische Ausbildung zu sprechen zu kommen: Wie bist du zum ersten Mal mit Musik in Berührung gekommen und was hat dich dazu bewogen die Laufbahn eines Komponisten einzuschlagen?

 

Jakober: Das war alles ein langer Weg. Aufgewachsen bin ich jedenfalls nicht mit klassischer Musik, sondern mit Bands wie Laibach aus der NSK-Bewegung (Neue slowenische Kunst Anm.) oder Gruppen wie Einstürzende Neubauten aus der Industrial-Szene. Habe dann ganz herkömmlich Klavier und Akkordeon gelernt und später zu komponieren begonnen, zunächst tonal. Ich muss auch zugeben, dass es lange gedauert hat, bis ich diesen Weg zur zeitgenössischen Musik gefunden habe. Ich habe aber immer wieder Einstürzende Neubauten gehört, mit Freunden darüber geredet und kam dann für mich zum Entschluss: Gewissermaßen ist das ja das Gleiche. Das ist das, was ich suche. Eigentlich habe ich genau den Sound, den ich suche, schon bei Einstürzende Neubauten gefunden. Irgendwann ist auch dieser Schalter umgefallen und ich entdeckte die Liebe zur zeitgenössischen Musik. Aber ich bin z.B. nie über Beethoven oder aus ähnlichen Zusammenhängen heraus zur zeitgenössischen Musik gekommen, sondern fand den Weg zur Zeitgenössischen aus dem Kontext des Sound- bzw. Klangsuchens.

 

terz: Du hast ja unter anderem an der Kunstuniversität Graz bei Georg Friedrich Haas studiert. Des Weiteren erwähnst du in diversen Interviews Komponisten wie Scelsi, Sciarrino, Nono und sogar Alfred Hitchcock. Inwiefern haben dich der Klangkonzeptionist Haas und jene Persönlichkeiten in deinem musikalischen Werdegang und kompositorischen Schaffen beeinflusst?

 

Jakober: Georg Friedrich Haas hat mich ziemlich stark beeinflusst und ich mag seine Musik sehr. Zunächst begann ich bei Gerd Kühr zu studieren und Haas war ursprünglich seine Karenzvertretung. So bin ich eher zufällig zu Haas gekommen und im Endeffekt war ich darüber sehr froh. Anfangs erlernt man natürlich das Handwerk: Wie lange braucht die Entwicklung eines Motivs oder Themas, wo steckt etwas drinnen und wie führt bzw. spinnt man es weiter? Aber ganz platt gesagt und was ich auch absurd finde bzw. skeptisch betrachte, ist: Man beginnt Komposition zu studieren und wird die ersten Jahre mit Theorie vollgepflastert. Vor allem ich fühlte mich davon ein wenig erschlagen, da ich nicht aus dem klassischen Kontext heraus kam. Es besteht kein Zweifel darin, dass Bach großartig ist, aber jedes Mal Kontrapunktlehre und Floskeln wie "der großartige Bach" zu Gehör zu bekommen, ist anfangs auch ermüdend. Die Folge daraus war, dass ich in den ersten Jahren nichts mehr geschrieben habe. Haas gab mir das Gefühl wieder, dass ich einfach das schreiben soll, was ich gerne hören will und nicht das, was die neue Musik von mir hören will. Das fand ich ziemlich inspirierend und ich wurde dadurch in meinem kompositorischen Schaffen sehr bestärkt. Dafür bin ich ihm äußerst dankbar. "Mach was du willst" ist eigentlich das Logischste, aber ist es wie man sieht auch wiederum nicht.

 

terz: Um bei Haas zu bleiben: In seinem Vortrag Grundlagen einer neuen Musiktheorie, welchen er im Zuge eines Symposions an der Kunstuniversität Graz hielt, spricht sich Haas für eine Erneuerung der Musiktheorie aus.

 

Jakober: Dieser Vortrag ist mir jetzt nicht bekannt. Wahrscheinlich handelt er unter anderem von Mikrotonalität.

 

terz: Ja genau, Mikrotonalität aber auch das Klangliche sind hier einige seiner Hauptthemen. Zusammenfassend handelt dieser Vortrag von der Notwendigkeit eines neuen Ansatzes in der Musiktheorie und Georg Friedrich Haas versucht diesen in sechs Thesen zu erläutern. Eine These lautet: "Das Objekt der musiktheoretischen Untersuchungen ist nicht mehr die Notation, sondern der real existierende Klang." Die Basis einer neuen Musiktheorie müsse auf die neuen kompositorischen bzw. klanglichen Möglichkeiten angepasst werden. Als Komponist sollte man laut Haas neue Werkzeuge kreieren, die den neuen kompositorischen Anforderungen gewachsen sind. Dabei kommen die Anregungen nicht aus der Musikästhetik, Musikpsychologie oder aus der Musiktheorie, sondern aus der Akustik und von außereuropäischen Musikformen. Wie stehst du zu dieser These Haas‘?

 

Jakober: Also ich kenne Haas ganz gut und es klingt jetzt so als würde er es als Postulat formulieren, als würde er sagen "das muss so sein". Auf jeden Fall – und da hast du Recht – stehen das Klangdenken und besonders die Klangliebe bei Haas ziemlich im Vordergrund. Das ist auch für mich etwas ganz Entscheidendes. Dennoch habe ich ihn im Unterricht nie so erlebt, als würde er Postulate aufstellen.

 

terz: Er hat es schon mit einer gewissen Bestimmtheit gesagt. Vielleicht auch, um die Zuhörer des Symposiums aus der Reserve zu locken und seine Thesen stärker zu untermauern.

 

Jakober: Ich kann mir gut vorstellen, was Haas darunter versteht und dass dieses Klangdenken ein guter Ansatz für eine neue Musiktheorie wäre, die viel mehr am Akustischen orientiert ist und nicht an irgendein Konstrukt, welches klanglich jeglichen Reiz verloren hat. Da kann ich ihm nur zustimmen und ich weiß, dass er diese Richtung eines konzeptionellen Ansatzes im Klangverband stark vertritt und auch sehr schätzt. Aber ich glaube nicht, dass er das so strikt postulieren wollte.

 

terz: Ich finde, dass diese – wie es Haas auch nennt – Klangfarbenlogik bzw. Klangfarbenperiodik in deinen Werken auch stark vertreten ist.

 

Jakober: Ja das mag schon sein.

 

terz: In deinen Kompositionen, vor allem im Streichquartett und in deiner Komposition Puls 4 für Molekularorgel, werden den Instrumentalisten verschiedene Tempi zugespielt – entweder durch Klick oder anhand von Leds. So arbeitest du mit unterschiedlichen simultan vorherrschenden Tempi in einer Komposition. Was hat dich dazu inspiriert eine solche Kompositionstechnik anzuwenden?

 

Jakober: Das mit den Klicks bzw. Leds stimmt, bei beiden ist die Anwendung aber eine andere. Zunächst zur Frage, wie ich darauf gekommen bin bzw. was mich dazu inspiriert hat. Weil wir zuvor von Haas gesprochen haben; es gibt die treffende Aussage von ihm: Die 16 ersten Geigen eines Streichorchesters klingen deswegen so schön, weil die eine Geige auf 440 Hertz, die andere 440,05 Hertz usw. gestimmt ist. So entsteht eine Schwebung und dieser Schwebeklang ist dann das, was die ersten Geigen ausmacht. Für den Hörer wird die mathematische Genauigkeit in der Stimmung als unangenehm empfunden: Die mathematische Genauigkeit "stimmt" nicht. (Ganz grob und subtil erklärt: Die mathematische Genauigkeit in der Stimmung wird heute als "unrein" bzw. nicht stimmend empfunden. Auch Haas hat das ähnlich formuliert: Der Mensch strebt nach einer gewissen Dissonanz. Anm.) Das Gleiche geschieht mit dem Tempo. Ich glaube, dass es kein Tuttiereignis gibt. Schon durch Einschwingvorgänge wird alles zerfranst und letztendlich entsteht immer diese Unschärfe. Das war sozusagen mein Ausgangspunkt. Auch von der Erfahrung ausgehend: wenn man z.B. durch die Straßen geht, sieht bzw. hört man die Leute gehen und alle gehen in einer anderen Geschwindigkeit. Diese Überlagerungen von verschiedenen Tempi haben für mich etwas ganz Besonderes. Es wird der Grundpuls ausgelöscht und dadurch entsteht eine schwebende Stimmung. Ich wollte das in meinen Kompositionen immer mehr forcieren und deswegen bin ich dann irgendwann auf die Idee gekommen: Warum nicht mit Klicks? So bin ich dann komplett unabhängig. Zumindest im zweiten Teil des Streichquartetts ist es mir hauptsächlich um diese unterschiedlichen Tempoüberlagerungen gegangen. Hier kommt es dann zu diesen Verschachtelungen. Das war einer der Hauptausgangspunkte beim Streichquartett. Um einen weiteren Ausgangspunkt zu nennen: Zuvor habe ich ein Stück für Sologeige geschrieben, in dem die Geige aufgenommen und diese dann minimal zeitverzögert zugespielt wird. So merkt man allmählich, dass ein gewisses klangliches Flimmern aufkommt. Diesen Effekt wollte ich auch beim Streichquartett einsetzen und auch optisch verdeutlichen, indem man die Instrumentalisten auf der Bühne räumlich distanziert.

Die Ausgangsposition bei Puls 4 für Molekularorgel war folgende: Ich hatte 35 Musiker und ich wusste, dass bei diesem Projekt auch viele Laienmusiker mitwirkten. So wollte ich kein hochkomplexes rhythmisches Stück schreiben, aber es würde mir trotzdem gefallen, wenn dabei rhythmische Konstellationen entstehen, die dicht und auch virtuos klingen. Deswegen hatte ich die Idee mit den Leuchtdioden. So kann jeder auf Leuchtsignal bzw. auf der Eins (Zählzeit. Anm.) spielen und in weiterer Folge konnte ich auch die Eins so übereinanderlegen, dass diese Verschachtelungen entstehen würden. Sicher wollte ich auch hier diese Tempoüberlagerungen haben, aber das war dann natürlich noch ein zusätzlicher Nutzen, den ich mit diesen Leds hatte. Wie du auch selber bemerkt hast, sieht jeder der Musiker in eine andere Richtung, man kann sich kaum zusammenhören und dann sind diese Leds sehr hilfreich.

 

terz: Ja, die waren damals für uns Musiker ein ziemlich wichtiger Orientierungspunkt. Auch ihre Verschiedenfarbigkeit mit ihren Leuchtkombinationen waren äußerst hilfreich, da es gelegentlich doch ein ziemlich schwieriges Unterfangen war dem musikalischen Verlauf zu folgen und seine Einsätze im richtigen Moment zu erwischen.

 

Jakober: Das glaube ich! Wir haben hier ziemlich lang getüftelt, ob es zwei oder drei Leds sein sollen, wie die Leuchtkombinationen aussehen sollen, z.B. bei den Studierziffern leuchteten dann alle drei usw.

 

terz: Das war einer meiner wichtigsten Anhaltspunkte. Um wieder auf deine Kompositionsmethoden zurückzukommen: Auch scheint es mir, dass du in deinen Kompositionen immer wieder kurze Abschnitte mit repetitiven Pattern einschiebst, diese auch in den unterschiedlich vorherrschenden Tempi übereinanderschichtest und somit ein gewisses rhythmisches Klanggebilde entsteht. Dies ist eine Form des musikalischen Minimalismus, sozusagen der Minimal Music, die bereits Terry Riley und in weiterer Folge Steve Reich als Kompositionstechnik anwandten. Inwiefern wurdest du durch Rileys und Reichs Phasenverschiebungen, genauer gesagt durch Kompositionen wie Piano Phase und Clapping music, beeinflusst?

 

Jakober: Ich bewunderte Steve Reichs frühe Kompositionen, wie Piano Phase und Violin Phase, schon immer. Auch finde ich es faszinierend, wie Reich hier die Phasenverschiebung ganz durchführt. Ich versuche sie aber weiterzuführen und mehr zu komponieren bzw. kompositorisch zu adaptieren. Wie z.B. beim Streichquartett; hier bemerkt man am Ende wie das Flimmern und die Pulsverschiebung einsetzen. Und in dem Moment wo die Unklarheiten beginnen, versuche ich auch immer Klarheit reinzubringen, indem ich kompositorische Akzente setze. So versuche ich Reichs Methoden weiterzuspinnen und auszuloten, was da noch möglich ist.  

 

terz: Ein Kernaspekt deines kompositorischen Schaffens ist das – wie du es selbst nennst – klangliche Flimmern, das aus den verschiedenen Tempoüberlagerungen der melodisch-rhythmischen Pattern hervorgeht. Daher entsteht gewissermaßen ein in sich permutierendes rhythmisch-melodisches Patterngebilde, wie es in deinem 1. Streichquartett herauszuhören ist. Geschieht diese Permutation eher willkürlich?


Jakober: Also beim Streichquartett geschieht das nicht willkürlich. Im zweiten Teil des Streichquartetts, wo diese Verschiebungen eine Rolle spielen, beginnt alles gleichzeitig. Dann kommt eine Schicht, die sich leicht verschiebt. Die Akzente der Pulsationen verschieben sich aber jedes Mal um einen bestimmten Wert; das passiert dann so lange bis die Pulse wieder zusammen verlaufen und diese wieder in ihrer Ausgangsposition stehen. Am Ende ist alles wieder gleich und genau in dem Moment hört es auf.

 

terz: Also verläuft dies so ähnlich wie z.B. bei Clapping music von Steve Reich, wo eine von zwei geklatschten Rhythmusschichten um einen bestimmten Wert nach hinten verschoben wird, bis sich am Ende wieder beide Schichten rhythmisch ident überlappen und der Rhythmus erneut in seiner ursprünglichen Ausgangsform erklingt.

 

Jakober: Ja genau.

 

terz: Wie du schon zuvor angesprochen hast, entsteht durch die Verwendung von Akzenten im "Pulsationsgewirr" ein gewisser Ordnungseffekt. So resultieren daraus Klanggebilde, die meist in einer musikalischen Klimax kulminieren, um dann in weiterer Folge mit einem nach unten schreitenden oder auch gleitenden Melodieduktus abrupt oder gemächlich Entspannung zu finden. Wie erklärst du dir deine Vorliebe für das Phänomen des klanglichen Flimmerns und deine "Liebe" zu musikalischen Abwärtsbewegungen?

 

Jakober: Das hat meine Freundin auch gefragt. Ich kann das nicht ganz genau erklären, aber ich muss sagen, dass ich die Aufwärtsbewegungen genauso gerne mag. Diese weisen immer eine gewisse Spannungszunahme  auf. Bei Abwärtsbewegungen ist das nicht so ein primärer Aspekt. Es ist mehr oder weniger so, als ob man einen Ambitus aufmacht und dadurch in die Unendlichkeit gelangt. Das hat für mich etwas Energetisches. Und meine Vorliebe zum klanglichen Flimmern erklärt sich wohl dadurch, dass Tempoüberlagerungen ein natürliches Phänomen sind; man kennt diese aus der Natur. In der Natur geschieht nie etwas gänzlich gleichzeitig. Das natürliche Geschehen ist immer etwas ausgefranst und dadurch herrscht meiner Meinung nach ein gewisses Flimmern vor. Ich sehe es als etwas, das ich gut kenne.

 

terz: So ist es mehr oder weniger ein Alltagsphänomen, das du in deinen Kompositionen musikalisch umsetzt?

 

Jakober: Vielleicht. Ich bin mir jetzt nicht sicher, aber es könnte durchaus sein.

 

terz: Auch die Mikrotonalität spielt in deinen Kompositionen eine wichtige Rolle. So verwendest du in deinem Streichquartett nach unten verlaufende Melodielinien, die – wie mir scheint – mikrotonale Divergenzen aufweisen.

 

Jakober: Genau! Das ist nämlich ein weiterer Aspekt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es langweilig wird, wenn man die Tempoverschiebung eins zu eins auf die Tonhöhe überträgt. Dieses mathematische Schema bemerkt das Ohr. Eigentlich versuche ich eine Spiegelung bzw. gedachte Spiegelung dieser Tempoüberlagerungen klanglich (mikrotonal Anm.) umzusetzen. Wenn sich eine künstliche Gleichzeitigkeit durch die Verschiebungen langsam auszufransen beginnt, geschieht dies auch in den Tonhöhen, indem es zu mikrotonalen Abweichungen des Haupttones kommt. Und so ist die Mikrotonalität in meinen Kompositionen eine Spiegelung  der Tempoüberlagerungen.

 

terz: Also resultiert die Mikrotonalität aus den Tempoüberlagerungen bzw. geht sie einher mit dem Flimmern?

 

Jakober: Genau! Beim Streichquartett gibt es eine Tempoangabe mit 60 zu 60,02; so beginnt nach ca. zehn Sekunden das musikalische Geschehen auszufransen. Ich finde es schön, wenn man dann eine Stimme z.B. auf dem c liegen und die zweite vom c ganz langsam zum cis oder nur einen Viertelton höher glissandieren lässt. So tritt der Effekt des Schwebens stärker in den Vordergrund. Das gefällt mir sehr.

 

terz: Auch bei der Molekularorgel – wenn ich mich richtig entsinne – waren die Grundstimmungen einzelner Blechblasinstrumente mikrotonal hoch oder tief alteriert.

 

Jakober: Ja, genau um einen Viertelton. Ich muss das mal richtig stellen: In den Medien stand immer, dass ich die Idee zur Molekularorgel hatte, das stimmt nicht, die Idee hatte Constantin Luser. Wir haben uns aber gemeinsam die Stimmung überlegt und diese fußt eher auf einer pragmatischen Lösung und hat weniger mit meiner Vorliebe zur Mikrotonalität zu tun. Wir wollten, dass nicht nur meine Komposition Puls 4 auf der Molekularorgel spielbar ist, sondern auch andere. Und so entstand diese Stimmung der Trompeten, Posaunen und Tuben eher aus einer pragmatischen Sichtweise heraus. Wir wollten somit alle Ventilpositionen der Trompete auf die Molekularorgel legen. Das war eigentlich der Hauptgedanke.

 

terz: Wir haben diese Thematik jetzt schon kurz angesprochen aber ich möchte noch etwas tiefer in diesen Themenkreis eintauchen: Wie setzt du diese mikrotonalen Abweichungen ein? Geschieht dies willkürlich im Sinne der Aleatorik oder setzt du dieses Phänomen ganz gezielt ein?

 

Jakober: Bestimmte Harmonien oder die Mikrotonalität setzte ich nicht nach einem gewissen Schema ein. Auch bin ich nicht so streng beim harmonischen Konstrukt; ich suche mir Klänge und überlege, wie ich von einem Klang zum anderen komme. So verwende ich dann gerne meine Lieblingsintervalle, wie kleine Sexte und Quinte, aber auch z.B. einen um einen Viertelton erhöhten Tritonus. Aus diesen Intervallen konstruiere ich dann Klänge und versuche Übergänge zwischen diesen Klanggebilden zu schaffen.

 

terz: Demnach spielt der Zufall in deinen Kompositionen eine gewisse Rolle oder lässt er sich dennoch irgendwie ausgrenzen?

 

Jakober: Zum Beispiel im Vergleich mit der Radikalität John Cages ist das, was in meinen Kompositionen passiert, natürlich kein Zufall. Was mich aber jetzt immer mehr zu interessieren beginnt – wie es z.B. auch in Dort zu bemerken ist – ist es den Musikern immer mehr Freiheiten zu geben.
So wie bei der Synthesizerstimme in Dort. Hier habe ich die Klänge gemeinsam mit Thomas Lehn erarbeitet, sozusagen konstruiert, da  diese nicht "klassisch notierbar" sind. Den Musikern habe ich bestimmte Tonhöhen und auch Pattern zur Auswahl vorgeben, aus denen sie nach Belieben frei schöpfen konnten. Also ist dies eher eine minimale Improvisationsarbeit, wobei Improvisation zu hoch gegriffen wäre. Es ist gewissermaßen das Schaffen von kleinen musikalischen Freiräumen.

 

terz: Deine Kompositionen weisen einen hohen Grad an Komplexität auf. Zum Teil herrschen unterschiedliche Temposchichtungen vor und es wäre hier von Vorteil, wenn sich die Mitmusiker gänzlich ausblenden ließen, was aber bei Live-Aufführungen meistens kaum möglich ist. Da der Mensch ausführender Musiker ist und keine "Maschine", kommt es wahrscheinlich zu einzelnen Abweichungen in den verschiedenen Aufführungen.

 

Jakober: Schön, dass du das sagst. In sehr vielen Stücken steht dieses Künstliche/Maschinelle im Verhältnis zum Menschlichen; besser gesagt spielt der Mensch in seiner Ungenauigkeit diesem Künstlich/Digitalen, abstrakten Mathematischen entgegen. Das ist für mich ein zentrales Thema.

 

terz: Was mir als ausführender Musiker bei der Molekularorgelkomposition Puls 4 aufgefallen ist, waren die von Tag zu Tag in den Proben auftretenden mehr oder weniger großen Aufführungsabweichungen. Unter anderem waren viele Musiker bzw. Laienmusiker beteiligt, wodurch auch der "Ungenauigkeitsfaktor" zunahm. So war das Klangergebnis gewissermaßen dem Zufall untergeordnet, was ich als interessantes Phänomen wahrnahm: Der Zufall als geduldetes bzw. "kalkulierbares" Risiko.

 

Jakober: Ja, das sehe ich auch so. Ich muss zugeben, dass ich beim Arditti Quartett (1. Streichquartett, Anm.) fast selber lachen musste. Man könnte sich jetzt die Frage stellen, wieso in der ersten Hälfte des Streichquartetts, in der es nicht um Tempoüberlagerungen geht, mit Kopfhörer gespielt wird. Die Musiker könnten sich zwar zusammenhören, aber dann wäre nicht mehr die Möglichkeit gegeben, sie räumlich voneinander zu distanzieren. Das anfängliche Wechselspiel zwischen den einzelnen Instrumentalisten, welches den Eindruck des Hin- und Herfliegens von Klängen erweckt, lässt sich gut mit Kopfhörern lösen. Mich reizte der Gedanke einem Streichquartett, welches eigentlich von enger musikalische Interaktion lebt, Kopfhörer aufzusetzen und sie dann räumlich zu distanzieren. Allein dieses Bild fand ich toll.

 

terz: Eine deiner weiteren Kompositionen, die im Laufe des musikprotokolls uraufgeführt wurde, trägt den Titel Dort. Ein Stück für analogen Synthesizer, Live-Elektronik und Ensemble (Klangforum Wien). Hier setzt du Live-Elektronik ein, wie schon bei nach Außen (Komposition für Violine Solo und Elektronik), wo du eine Form der Phasenverschiebung anwendest.

 

Jakober: Nicht ganz. Die Live-Elektronik bei Dort kommt im Gegensatz zu nach Außen eher weniger zum Einsatz. Hauptsächlich gegen Ende des Stückes, wo die Klänge nochmal zeitverzögert zugespielt werden. Ansonsten weist sie bei Dort nur Panoramafunktion auf. Ausgangspunkt war eigentlich Thomas Lehn, der den analogen Synthesizer bediente; wir kennen uns von meiner Kölner Zeit. Was mir besonders an ihm gefällt ist, dass er die elektronischen Klänge gekonnt in das musikalische Geschehen integriert. Er sieht das mehr von der musikalischen als von der rechnerisch mathematischen Warte aus. Schon in Köln führte ich ein Stück mit Synthesizer und Ensemble auf, in dem Thomas nur in Stereo zugespielt wurde. Bei Dort war die Zuspielung räumlich im 4-Kanalton. Ich wollte aber verhindern, dass durch diese 4-kanälige Zuspielung das Ensemble einfach im Hintergrund sitzt und zugedeckt wird. So sollte das Klangforum Wien auch im Raum erklingen, indem jedes Instrument einzeln abgenommen wurde und die Instrumente dann in vier Gruppen eingeteilt und im Raum „panoramasiert“ wurden. So versuche ich den Ensembleklang zu projizieren, indem sich die ganz tiefen Instrumente weit hinten befinden und die höheren weiter vorne. Das ist die eigentliche Hauptaufgabe der Live-Elektronik bei Dort, außer am Ende wo der Ensembleklang aufgenommen und dann zeitverzögert zugespielt wird. Bei nach Außen geschieht das anders, hier arbeite ich mit Filtern, die die Obertöne der Geige herausfiltern.

 

terz: In Dort verdichtet sich das Klanggeschehen kontinuierlich und führt immer wieder zu einem ins fortissimo crescendierenden musikalischen Höhepunkt, der wieder aufgelöst wird. Durch diese Verdichtung von Orchester, Synthesizer- und Liveelektroniksounds kulminiert das musikalische Geschehen zu einer pulsierenden Klangsphäre, die mit Hilfe der Live-Elektronik durch den Raum rotiert, was für mich ein ziemlich imposantes Hörerlebnis darstellte.

 

Jakober: Ich muss sagen, hier habe ich ein bisschen meine kindliche Seite durchscheinen lassen. Ich wollte unbedingt ein Tamtam-Tremolo in eine meiner Kompositionen einbauen. Einerseits kenne ich  diesen Noisesound, den Thomas Lehn mit seinem Synthesizer aufbauen kann und andererseits sollte das Ganze in Kombination mit dem Originaltamtam auch Sinn ergeben; so wollte ich hier das ganze Spannungspotential ausschöpfen und ich hoffe, dass mir das auch gelungen ist. Was ich toll fand, ist, dass auch Thomas einen Tamtam-ähnlichen Noisesound verwendete, der dann dem echten Tamtam-Tremolo gegenüber stand und so herrscht wieder diese Wechselbeziehung zwischen dem Menschlichen und Künstlichen vor.

 

terz: Sozusagen sind hier die Live-Elektronik und der Synthesizer in Kombination mit dem Ensemble raumgebende Elemente. Was waren deine musikalischen bzw. kompositorischen Intentionen bei Dort? Wie kam es zu diesem Titel?

 

Jakober: Meine Hauptsorge bei Dort war, dass die Gefahr besteht das Ensemble mit elektronischen Sounds klanglich zuzudecken. Daher stellte ich mir die Frage: Wie kann ich die Elektronik bzw. den Sound von Thomas so benutzen, dass dieser auf der einen Seite eigenständig ist und auf der anderen Seite dennoch einen gewissen Verfremdungseffekt ins musikalische Geschehen hineinbringt. Weiters lernte ich dieses neue Kontrafagott kennen und mit ihm eine neue Tiefe; diese absolute Tiefe, welche kaum noch eine Tonhöhe wahrnehmen lässt und hauptsächlich einen Klangzustand vermittelt. Also habe ich mir gedacht, das muss auch in Dort vorkommen.

Wie bereits besprochen, war die eigentliche Hauptidee von Dort die Darstellung des Gegensatzes zwischen der Menschlichkeit und der totalen Verzerrung dieses menschlichen Klanges. Deshalb auch der Text von Ferdinand Schmatz in meiner Werkeinführung.

 

terz: Ebenso scheint dieses Werk einige deiner Kompositionsmethoden zu vereinen, so wie z.B. ausgehend von der Pulsation über das klangliche Flimmern hin zu Passagen, in denen du ein "Molekularorgelzitat" in den Blechbläsern bringst.

 

Jakober: Das stimmt. Wenn ich eine kompositorische Idee bei einem Stück umsetze, denke ich mir oft, dass ich auch noch andere Elemente bzw. Ideen einbauen könnte. Das Neue bei Dort war diese viergliedrige räumliche Aufteilung des Ensembleklangs, wo alle vier Gruppen unterschiedliche Tempi spielen. Die daraus entstehenden Pulsationen sollten dann auf vier Ebenen hörbar sein. Dies war die räumliche Idee bei Dort. Weiters schicke ich die pulsierenden Harmonien, genauer gesagt die Tonhöhen aus diesen pulsierenden Harmonien, als Rechteckschwingung zu Thomas und er baut darauf seinen Synthesizerklang auf. So vermischt sich dieser Klang mit der Pulsation. Wie schon gesagt war mir bei dieser Pulsation der räumliche Aspekt äußerst wichtig, daher bringt das Ensemble auch Akzente, die sich von hinten nach vorne oder von links nach rechts bewegen.

 

terz: Versuchst du immer innerhalb deiner Kompositionen aber auch innerhalb deiner verschiedenen Stücke Korrelationen herzustellen?

 

Jakober: Eigentlich schon. Innerhalb einer Komposition stelle ich Verbindungen her, indem ich mir zuerst den Formteil überlege. Wie kann dieser Schritt zum folgenden Schritt in Beziehung treten? Grob gesagt entwickelt sich daraus die Komposition. Z.B. bei Dort war mein erster Ausgangspunkt die Tiefe. Diese Tiefe wird mittels Ringmodulator frequenzmoduliert und geht mit dem hochsteigenden Kontrabass einher. So stelle ich mir immer die Frage: Wie kann ich mit dem erarbeiteten Material ein Stück konstruieren? Verbindungen zwischen meinen Stücken stelle ich meistens her, indem ich manche Elemente vorangegangener Kompositionen, die ich abermals hören möchte, beim nächsten Mal noch extremer einsetze.

 

terz: Zu guter Letzt: Welche neuen Projekte sind in Planung?  

 

Jakober: Das nächste Projekt ist ein Chorstück für Styria Cantat. Ähnlich wie bei Dort, in dem sich aus der Tiefe eine Klimax emporhebt, möchte ich hier einen liegenden Klang reinspielen und der Chor soll an gewissen Stellen aus vorgegebenen Pattern verschiedene Elemente aussuchen. Weil diese Komposition für einen Laienchor ist, möchte ich weg vom Ausnotierten und gewissermaßen nur den Klang vorgeben, den sich der Chor aus Pattern zusammensucht. Darin besteht nun mein erstes Anliegen. Des Weiteren folgen ein Zithertrio und ein Ensemblestück. Vielleicht kommt noch ein Folgeprojekt mit Constantin Luser.

 

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