Vermittlung Magazin

Kompositorische "Leistungsschau"

Appell an den Europagedanken: Konzert des European Contemporary Composers’ Orchestra beim Jubiläumsfestival des ÖKB

Der Österreichische 

Komponistenbund setzte sein Jubiläumsfestival am vergangenen Freitag (14. Juni 2013) mit einem Abend europäischer Musik fort, den das European Contemporary Composers’ Orchestra gemeinsam mit diverse Gesangs- und Instrumentalsolisten unter der souveränen, wie zugleich ausdrucksstarken Stabführung des Dirigenten Chungki Min bestritt.

 

Während sich im großen Saal des Wiener Konzerthauses die Computerspielefreaks, ein buntes Völkchen, dass die ebenfalls einhundert Jahre alte Spielstätte wohl nur selten erlebt, sich zum Lauschen der Final Fantasy-Musik versammelte, feierte der ÖKB sein tatsächliches Jubliäum mit diesem "europäischen" Konzert vor, unter anderem auch den Temperaturen geschuldeten "ausgewählten" Publikum. Der ÖKB-Präsident Klaus Ager und Alfons Karabuda Präsident des ECSA eröffneten das Konzert, welches am Abend der vor hundert Jahren geschehenen Vereinsgründung erfolgte.

 

Das European Contemporary Composers’ Orchestra könnte den Europa-Gedanken wohl nicht besser verkörpern: Künstlern aller Sparten ist das klar, was unverbesserliche Nationalisten und ewiggestrige Politpessimisten nicht einsehen wollen. Wir brauchen Europa und die EU nicht nur als Wirtschaftsraum, sondern auch als gemeinsame Identität als Einheit in welcher freie Kunstausübung und Lebensgestaltung ohne staatliche Grenzziehung und politische Hindernisse möglich ist. Dieses Orchester, das sich der Aufführung von zeitgenössischen europäischen Komponisten widmet, kann hier als anschauliches Beispiel dienen, wie so etwas aussehen kann.      

 

Benjamin Langs Symphony (2008) kann mit Sicherheit als der Geheimtipp dieses Abends bezeichnet werden. Warum? Lang legt, was heute selten geworden ist, eine ungekünstelte zeitgenössische Interpretation des Sinfoniegedankens vor. Das Werk, welches von komplexen Interaktionen von kompositorischen Strategien lebt, ist dreisatzig und erlaubtes es den Titel mehrdeutige zu interpretieren. Zum einen, wie schon festgestellt, handelt es sich um eine klassische Orchestersinfonie mit zwei „schnellen“ Ecksätzen und einem meditativen Mittelsatz, zum anderen aber zeichnet es sich programmatisch auch als Sinfonie über Sinfonik aus. Unaufdringlich gelingt es Lang in die Sätze 1 und 2 Zitate Gustav Mahlers aus dem Lied von der Erde einzufügen, welche zu einer Einheit mit seiner Musiksprache verschmelzen. Ebenfalls anregend ist die Verknüpfung der Sätze 2 und 3 mit Hilfe von prominent eingesetzten chineseschen Gongs – an dieser Stelle gibt sich die Gelegenheit dem Schlagwerkregister des European Contemporary Composers’ Orchestra für seinen Auftritt zu gratulieren.      

 

Gunnar Bergs Frise I–VII für Klavier und Kammerorchester (1961), welches als österreichische Erstauffürhung gegeben worden ist, enstammt einer Kategorie von kunstmusikalischen Werken, die sich ganz im besonderen der musikalischen "Gesetzeswelt", wie es der Philosoph Ernst Bloch ausgedrückt hätte, verschrieben haben. Der Däne, der nie ganz im dänischen Musikleben zu Hause war und den anregende Begegnungen mit Olivier Messiaen, John Cage und Karlheinz Stockhausen geprägt haben, ist zeitlebens dem Serialismus treu geblieben. Dies ist auch in den „Friesen“ (dieser Titel greift den Gedanken an das architektonische Stilelement auf) hörbar. Wiewohl Berg fragile Klangwelten mit seiner vom Serialismus dominierten Technik zu generieren vermag – hervorzuheben sind die Friese I –V – VI –VII –, so wird gerade aber an diesem Werk evident, wo die Krux einer orthodoxen Verwendung dieser Kompositionstechnik liegt. Die Werke neigen dazu, einem Intellektualismus zu verfallen, der manchen von ihnen etwas Hölzernes verleihen kann. Berg umgeht dies ebenso wie auch sein Kollege Pierre Boulez, wenn auch anders. Ersterer löst den „Druck“ durch einen untypischen Dialog zwischen Klavier (fein musiziert von Oscar Micaelsson) und Orchester, zweiterer „romantisiert, wie in Le marteau sans maître (1952–1955) Stimmführung und Orchestersatz.

 

Der bewegende Höhepunkt des Abends wurde mit Roman Bergers 2011 für den Bass Sergej Kopcák komponiertem Tenebreae für Bass und Kammerensemble erreicht. Kopcák – als seriöser Opernbass auch in Wien bekannt – hatte dieses Werk beim Komponisten in Auftrag gegeben, um über ein Repertoirestück verfügen zu können, welches sich mit einer Komposition Illja Zeljemkas zusammengehen könnte. Diese schwierige Aufgabe – Zeljemka schuf eine Kantate mit dem „Auschwitz“ – löste Berger, indem er auf einen Text Paul Celans zurückgriff: Tenebrea. Auch wenn das Gedicht in Übersetzung aus dem Deutschen zunächst sich seltsam anhört, so gelang dem Komponisten mit diesem nachtschwarzen und in gedämpften Klangfarben gehaltenen Werk ein ergreifendes Stück Musik, das die Hörerinnen und Hörer nicht unberührt lassen kann und nachdenklich zurücklässt. Zu verdanken ist dies vor allem Sergej Kopcáks sensibler, wie zugleich sublim feinsinniger Interpretation.

 

Das Progamm wurde nach einer Pause fortgesetzt mit der Uraufführung von Ulpiu Vlads Wild flowers für Streichorchester (2013). Dem rumänischen Komponisten ist es sehr an kompositorischer als auch interpretatiorischer musikalischer Expressivität gelegen. Wer hier aber nun eine Expressivität erwartet, wie sie der Musik des sogenannten Expressionismus der vorvergangenen Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg anhaftet – es seinen Werke wie Arnold Schönbergs Erwartung, Alban Bergs Wozzeck oder auch Strawinskys Le sacre du printemps genannt -, der täuscht sich. Für Vlad bedeutet expressive Musik jeder einzelnen Note soviel innige Energie mitzugeben, dass sie Geist und Seele des Menschen zu berühren vermag. Mit seiner dreisatzigen Quasi-Pastorale gelingt ihm dies, was vor allen Dingen auch den kunstvoll, wie doch ungekünstelten Einsatz von Soli der jeweiligen Registerführer zuzuschreiben ist. Im ersten Satz sind dies solche von Violine und Violoncello, im dritten eines ausgedehntes Violinsolo (Bravo für den Konzertmeister) und im zweiten Satz ein kleines "Streichquartett".

 

Den Abschluss des Konzertabends, welcher trotz des Enfalls eines Werkes aus organisatorischen Gründen mit etwas mehr als drei Stunden deutlich zu lange war, bildeten zwei grundverschiedene Kammerkonzerte für Flöte bzw. Violine Solo. Das vergleichsweise großbesetzte viersatzige Flute Concerto (2010) des slowenischen Professors für Musiktheorie an der Ljubljana Academy of Music nutzt als Grundlage und Bindegewebe ein altes Volkslied aus Prekmurje, welches erst im vierten Satz tatsächlich als Zitat auftaucht. Zwei eher pastorale Ecksätze – sie erinnern etwas an das Violinkonzert Concerto accademico des Briten Ralph Vaughan-Willams – rahmen dabei zwei schnelle Mittelsätze ein. Die glänzend virtuose und feinfüllige Interpretation von Ahran Kim rundete die Aufführung dieses Konzertes ab. Dem Flötenkonzert gegenüber stand Dieter Kaufmanns Elena en face op. 132 für Solovioline und Kammerorchester, ein rhaopsodisches Solowerk zwischen den Stilen, welches von der  Widmungsträgerin Elena Denisova interpretiert wurde.

 

Dieses Konzert stellt eine würdige, tatsächliche Geburtstagsfeier des ÖKB dar. Es wäre ein guter Anlass gewesen, bei welchem die Programmplaner der Wiener Konzertinstitutionen hätten anwesend sein sollen. Hier hätten sich genug Gelegenheiten geboten Werke kennenzulernen, die die "verstaubten" Kammerorchesterkonzerte und –matineen mit zeitgenössischer Musik "versilbern" könnten.                        

 

Simon Haasis