Kopfstand

Ekaterina Heider (2012)

Karl spielt Klavier. Die Katze sieht ihm oft dabei zu. Währenddessen koche ich Gulasch und stelle mir vor, dass Karl Blumen aus den Ohren wachsen.
Karl trinkt Kaffee. Die Katze sieht ihm oft dabei zu. Er leckt an seinen Lippen und ich sage:
"Es ist Sonntag, Karl."

"Das macht nichts",  meint er.
Sonntage sind schön.
Wenn Karl schläft, hebt und senkt sich sein Bauch in regelmäßigen Zeitabständen und ich stelle mir vor in Karls Bauch ist ein großer Frosch, der aus Karl rausspringen will, und dann doch nicht und dann doch.
"Karl, der Frosch", sage ich dann leise, "lass ihn raus." Und er schläft weiter und ich ein. 
Meine Träume schreibe ich immer auf. Dafür habe ich ein Buch mit grünem Einband. Das Buch verschwindet und ich frage mich, wer es gegessen haben könnte. Die Nachbarkinder, denke ich. Obwohl ich die Wohnungstür doppelt absperre, steht sie immer offen.
Karl wachsen manchmal auch Blumen aus den Ohren, wenn er nicht am Klavier sitzt, jedoch selten.
Monika hat mich angerufen, es war fünfzehnuhrzehnn. Sie wollte etwas, ich weiß nicht mehr was.
Monika ist eine schöne Frau, ihre Hände zittern fast nie.
Sie spricht leise und atmet laut.
Sie trägt meistens Wollsocken und cremefarbene Pullover.
Jeden Morgen macht Karl einen Kopfstand. Dann gehe ich ins Bad, wo mich mein Spiegelbild ansieht. Es lächelt und das Lächeln verrutscht manchmal oder fällt auseinander. Mein Spiegelbild riecht nach Regen und Erdbeeren.
Kleider machen Leute, habe ich gehört. Ich trage nur Hosen, weil ich nicht gemacht werden möchte.
In Karls halbvollen Biergläsern finde ich manchmal Obstfliegen. Ich hole sie dann raus und lege sie auf ein Taschentuch auf dem Fensterbrett. Das Taschentuch ist schwarzweiß.
In unserer Wohnung hängen viele Bilder. Sie hängen alle schief und wenn Karl sie zurechtrückt hängen sie danach noch schiefer.
Ich klopfe an die Nachbarstür, um nach meinen Träumen zu fragen. Die Frau schickt ihre Kinder mit einer Handbewegung ins Wohnzimmer, sie laufen mir davon und ihre Haare glänzen wie Puderzucker.
Karl macht mir Tee. Während ich ihn trinke, liest er in der Zeitung. Die Katze sieht ihm dabei zu. Der Tee schmeckt nach Ruhe. Später finde ich meine Träume im Küchenregal, jemand hat sie angeknabbert.
Karl wars nicht.
Karls Hände sind feucht.
Karl küsst mich auf die Stirn.

 

Ekaterina Heider, deren Prosa sich durch ihre hohe Dichte und außerordentliche Musikalität auszeichnet, wird ab 2013 in unregelmäßigen Abständen Kurzprosa für terz.cc schreiben.


Ekaterina Heider wurde 1990 in Irkutsk, Russland, geboren. Sie lebt seit 2001 in Wien. Nach abgebrochenem Gymnasium Hauptschulabschluss, Lehre und Matura. Seit 2011 Studium der Sprachkunst. Hauptpreis der edition exil 2012. Startstipendium für Literatur des bm:ukk 2012.