Vermittlung Magazin

"Ich sehe keinen Unterschied zwischen einer klassischen Sonate und einem Metalsong"

Bernhard Gander im Gespräch

Bernhard Gander, der im Jänner diesen Jahres mit dem Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien ausgezeichnet wurde, spricht mit Axel Petri-Preis über Metaleinflüsse in seiner Musik, seine Faszination für filmische Gewaltdarstellungen und die Gefahren von Crossoverkompositionen.

 

terz: Du wurdest vor Kurzem für deine Komposition "Melting Pot" mit dem Ernst-Krenek-Preis der Stadt Wien ausgezeichnet. Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass "Melting Pot" – weil es spartenübergreifend ist, weil es die Popkultur einbezieht und weil es auch dezidiert politisch ist –so etwas wie die Quintessenz deines bisherigen Schaffens darstellt?

 

Gander: Eigentlich schon. Ich habe in dieses Stück verschiedene Musikstile integriert, allerdings nicht aus Kalkül, sondern weil das einfach mein musikalischer Alltag ist. Die politische Dimension habe ich auch schon in ein paar Stücke integriert, das ist mir auch wichtig. Es kann aber nicht jedes Stück politisch sein.

 

 

terz: Inwiefern empfindest du es als Gratwanderung und Herausforderung, die zahlreichen Fettnäpfchen und Fallen einer Crossover-Komposition zu umgehen?

 

Gander: Das ist eine große Herausforderung, weil es nicht ganz einfach ist. Ganz ehrlich: Es ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. (lacht) Also nicht wirklich, aber es gibt oft so blöde Crossover-Projekte, wo sich der klassische Komponist zu sehr den anderen Stilen anbiedert und probiert zu simpel zu sein. Dabei ist die E-Musik dem Publikum durchaus zumutbar.

 

terz: In deinen Stücken ist klar nachvollziehbar, dass du dich in deiner Musiksprache nicht verbiegst, sondern dir andere Einflüsse zu eigen machst. Das ist ein Aspekt, der sicherlich auch in deiner neuen Komposition „Take Death“ nachzuhören sein wird, in der du dich auf Songs der Metal-Gruppe Cannibal Corpse beziehst.

 

Gander: Genau. Ich habe die Songs formal analysiert und übernehme ganz klare Formen wie Intro, Verse, Chorus, Solo und so weiter. Ich arbeite im Stück auch stark mit 8-taktigen und 16-taktigen Formschemata. Das ist natürlich ein unglaublich anachronistisches System, aber das interessiert mich einfach. Das Stück dreht sich auch sehr stark um die Zahl 8, als Zeichen für Einheit und für einen Neubeginn. Im Judentum ist die Frau am 8. Tag nach der Regel wieder rein. Und in "Take Death" ist die Welt wieder in Ordnung, nachdem die Jungfrau die 7 Weisen umgebracht hat. Außerdem habe ich noch Riffs und rhythmische Modelle direkt übernommen und weiterverarbeitet. Ich habe während der Analyse der Songs oft Ähnlichkeiten und Parallelen mit Stellen aus meinen Kompositionen gesehen, die ich dann weiter ausgebaut habe.

 

terz: Du reagierst ja mit "Take Death" auf "Le Sacre du Printemps" von Igor Stravinsky und entwickelst eine Rachefantasie, in der die Jungfrau zurückkehrt und die weisen Männer tötet. Gibt es dementsprechend auch inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Texten der verwendeten Songs und deiner Komposition?

 

Gander: Ich habe besonders Titel übernommen, die eine sehr klare Message haben. "Evisceration Plague" zum Beispiel oder "Make them suffer".

 

 

terz: Finden sich diese Titel auch in deiner Partitur wieder?

 

Gander: Ja, die einzelnen Abschnitte sind damit überschrieben. Ich habe immer nur kleine Abänderungen gemacht. "Make them suffer" heißt bei mir zum Beispiel "Make him suffer". In diesen Abschnitten übernehme ich dann auch Elemente aus dem jeweiligen Song. Es ist mir vor allem um Titel gegangen, die auf die Rache der Jungfrau hinweisen.

 

terz: Und am Ende lässt du dich selbst umbringen...

 

Gander: ...genau, das heißt dann "My hammersmashed face". (lacht)

 

terz: Die Geschichte der Rache einer jungen Frau an ihren Peinigern, die sie einen nach dem anderen tötet, lässt mich an Quentin Tarantinos "Kill Bill" denken. Inwiefern stand dieser Film auch Pate?

 

Gander: Der Film ist auf jeden Fall ein Vorbild und ich schätze Tarantino generell sehr. Wie er im ersten Teil auch Comics einbezieht und generell Gewaltdarstellungen choreographiert, ist grandios.

 

 

terz: Hast du auch schon "Django unchained" gesehen?

 

Gander: Ja, ich werde ihn auch sicher noch ein zweites und drittes Mal sehen.

 

terz: Gewaltdarstellungen in Filmen werden immer wieder kontrovers diskutiert. Regisseuren wie Oliver Stone oder Quentin Tarantino wurde auch schon die Verherrlichung von Gewalt vorgeworfen. Wo siehst du die Grenze zwischen einer künstlerisch wertvollen Arbeit und der banalen Glorifizierung von Gewalt?

 

Gander: Das ist sehr schwierig. Es gibt natürlich reine Actionfilme oder Splattermovies, wo es nur um die Gewaltdarstellung geht. Da begeilen sich manche auch noch daran. Ich glaube aber Regisseure wie Tarantino oder Stone wissen ganz genau, was sie tun. Natürlich machen sie das mit einer sehr verliebten Detailarbeit, aber sie beherrschen ihr Handwerk. Allerdings muss ihre Arbeit natürlich trotzdem immer wieder kritisch hinterfragt werden.

 

terz: Auch die Gruppe Cannibal Corpse, auf deren Songs du dich in "Take Death" beziehst, sind nicht ganz unproblematisch. Einige CDs und CD-Covers sind auf Grund ihrer expliziten Darstellung von Gewalt indiziert. Wo ziehst du für dich persönlich die Grenze? Worauf würdest du dich nicht beziehen?

 

Gander: Cannibal Corpse sind natürlich nicht unproblematisch, aber ich habe mich mit der Gruppe lange beschäftigt. Ich weiß, sie sind persönlich keine brutalen Menschen, sondern brave Familienväter. Aber natürlich haben sie Songtitel wie "Butchered at Birth" und viele andere, die mir jetzt Gott sei Dank nicht einfallen. Aber in ihrer Kunst schreiben sie eben über Gewalt und ich denke schon, dass ihnen sehr bewusst ist, was sie tun. Ich bin mir sicher, das ist weit von Gewaltverherrlichung entfernt und ist einfach Teil des Genres. Und wenn Michael Haneke Gewalt darstellt und sagt, er ist gegen Gewaltdarstellungen, dann macht er nichts anderes als Metal Bands. Nur verkauft er es als Kunst. Ich sehe da absolut keinen Unterschied. Außer dass es die Metal Bands besser machen.

 

terz: Ist nicht auch gerade für das Genre Metal das Spiel mit Klischees und Grenzüberschreitungen ein zentraler Aspekt?

 

Gander: Ja und das finde ich auch gut. Klischees sind Bausteine innerhalb einer Community. Es gibt ja auch Metal Bands, die sehr links stehen, Napalm Death zum Beispiel. Und die haben auch ihre Klischees, genau so wie Hip Hopper, bei denen sie überhaupt sehr offensichtlich sind: gut gebaute Frauen, Autos und viel Gold. Ich finde es lustig, wenn man mit diesen Klischees hantiert und sie variiert.

 

terz: Die Darstellung von Gewalt ist durchaus etwas, womit du dich schon länger beschäftigst. Du beziehst dich in einigen Werken zum Beispiel auch dezidiert auf Horrorfilme. Inwiefern spielt das auch in "Take Death" eine Rolle?

 

Gander: Das spiegelt sich eigentlich hauptsächlich in der Titelgebung wider. Eine musikalische Gewaltdarstellung funktioniert einfach nicht. Ich kann zwar eine Geige oder eine Gitarre auf der Bühne zertrümmern lassen, aber das hat es alles schon gegeben. Da würde ich jetzt eher darüber lachen. Auch wenn die Musik nur chaotisch wäre, würde das die Gewalt doch eher nivellieren. Ich finde es fast gewaltsamer, wenn mein Stück in ein ganz strenges formales Korsett gesteckt wird. Aber ich kann es noch nicht genau sagen, das muss sich erst zeigen. Vielleicht wird es eine totale Kuschelnummer. (lacht)

 

terz: "Take Death" ist nicht deine erste Komposition, in der du dich auf Aspekte des Metal beziehst. Wann ist in dir eigentlich die Leidenschaft zu dieser Musik entstanden?

 

Gander: Schon sehr früh. Als ich zehn Jahre alt war, hat mein älterer Bruder Deep Purple gehört und als ich die Kassette in die Hände bekommen habe, war es um mich geschehen. Ich habe mir dann selbst Kassetten von Iron Maiden und Judas Priest gekauft und während mich andere Musikstile immer nur kurze Zeit interessiert haben – Neue Musik zum Beispiel – habe dieses Genre nie aufgegeben.

 

terz: Wann war der Punkt erreicht, wo du dir als Komponist überlegt hast, dich in deiner Musik auf Metal zu beziehen?

 

Gander: Eigentlich wollte ich das schon immer machen, aber ich hatte nicht das Handwerk dazu. Das wäre wohl in peinlichem Crossover gemündet. Über die Jahre habe ich ein eigenes Vokabular und auch die geeigneten rhythmischen und zum Teil auch harmonischen Anknüpfungspunkte gefunden.

 

terz: Die erste Komposition, in der du dich dezidiert auf eine Metalgruppe beziehst, ist "ö", eine Hommage an die Gruppe Motörhead. Darin haben dich eher formale Aspekte interessiert. In anderen Werken wie "lovely monster" beziehst du rhythmische Elemente ein, aber auch die Sprache in Form von Interviewausschnitten mit Metal Musikern – in "King’s Message" – und Texte von Death Metal Songs – in "deathtongue" – hast du verarbeitet.

 

Gander: In "King’s Message" habe ich Ausschnitte aus einem Interview mit Kerry King, dem Mastermind von Slayer, verwendet, weil er einfach eine ähnliche Einstellung zur Musik hat wie ich. Bei "deathtongue" habe ich Black Metal Songtexte mit den Texten des Requiems verbunden. Viele dieser Songtexte sind sehr poetisch.

 

terz: Auffällig an "deathtongue" ist auch, dass du erstmals performative Elemente in ein Instrumentalstück integriert hast. Konkret waren die MusikerInnen bei der Uraufführung weiß geschminkt. Wie kam es zu dieser Idee?

 

Gander: Die Idee habe ich natürlich ganz klar vom Black Metal geklaut, aber das hat sich einfach angeboten. Die MusikerInnen wollten während der Proben dann sogar noch mehr solcher performativen Elemente einbauen. Beispielsweise beginnt das Stück mit einem langen tiefen Drone-Sound, damit sich die MusikerInnen schminken können und bei der Uraufführung sind sie dann nacheinander langsam auf die Bühne gekommen. Das war die Idee der MusikerInnen und passt gut dazu.

 

 

terz: Hast du vor, in Zukunft öfters derartige performative Elemente in deine Stücke zu integrieren?

 

Gander: Wenn es sich anbietet auf jeden Fall. Manches ist eine aufgelegte Wuchtel.

 

terz: Interessanter Weise hat Metal in den letzten Jahren auch akademische Weihen erhalten. Es gibt mittlerweile mit Metal-Studies eine ganze Fachrichtung, die sich mit diesem Genre auseinandersetzt. An der Universität für Musik und darstellende Kunst gibt es in diesem Frühjahr ein Symposion rund um Metal. Sarah Chaker vom Institut für Musiksoziologie macht sich in diesem Bereich sehr verdient. Wie erklärst du dir dieses Phänomen?

 

Gander: Die Zeit hat endlich erkannt, dass Metal die einzige wahre Musikrichtung ist! (lacht herzhaft) Spaß beiseite: Um guten Metal zu machen, muss man ein unglaublich guter Musiker sein. Viele Metalmusiker kommen von der Klassik oder vom Jazz und es gibt auch einige Bands, die richtig gut komponieren können. Ich sehe einfach keinen Unterschied zwischen einer klassischen Sonate und einem Metalsong.

 

terz: Das Genre ist, was Aspekte wie Form, Harmonik oder Rhythmik betrifft, zum Teil auch ausgesprochen experimentierfreudig.

 

Gander: Und gerade die experimentierfreudigen Bands finde ich eigentlich interessanter als den Bereich, in dem ich tätig bin. Viele dieser Bands schreiben ihre Songs ja nicht in Form von Noten auf. Die sitzen einfach jahrelang in ihrem Probelokal und probieren das aus. Am Papier kann ich ziemlich kompliziert sein und es kann immer noch Scheiße klingen.

 

terz: Wohin würdest du selbst künstlerisch gerne noch gehen in deiner Beschäftigung mit Metal?

 

Gander: Unbedingt eine super Metalband gemischt mit Orchester, weil es da irgendwie noch zu wenig gibt. Metallica mit Orchester ist zum Beispiel Fahrstuhlmusik. Das Orchester wird einfach romantisch und vorsintflutlich eingesetzt. Da nivellieren sich beide Energien. Bei Black Metal und Dark Metal Bands wie Dimmu Borgir gibt es hin und wieder Orchesterparts, wo aber das Orchester nie richtig gefordert ist. Ich möchte schon meine Orchestersprache beibehalten und mich mit Leuten treffen, die auch bei ihrer Musiksprache bleiben wollen, wo man aber gemeinsame Anknüpfungspunkte findet.

 

terz: Als ich vor mittlerweile acht Jahren mein erstes Interview mit dir führte, hast du mir noch erzählt, dass dein Zugang zum Komponieren ein stark visuell geprägter sei. Du hast in dieser Zeit sehr viel skizziert, zunächst einmal Formverläufe auf Millimeterpapier gebracht und danach erst mit Tonhöhen gearbeitet. Inwieweit hat sich seither dein Zugang zum Komponieren verändert?

 

Gander: Die Arbeit mit elektronischer Musik hat bei mir alles revolutioniert, weil man die eigenen Ideen sofort anhören kann. So komponiere ich auch. Ich habe Gedanken, schreibe sie auf und der Klang ist bei mir immer präsent. Die graphische Herangehensweise ans Komponieren hat sich ganz aufgehört. Jetzt überlege ich mir bei vielen Stücken erst das rhythmische System, aber das wird sich sicher noch oft ändern.

 

terz: Du sprichst den Rhythmus als Ausgangspunkt einer Komposition an. Ich habe den Eindruck, dass die rhythmische Dimension in deinen letzten Werken stärker ins Zentrum gerückt ist....

 

Gander: ...das ist sicher der klare Metal- oder Rockeinfluss. Nach vier Sekunden knallen dir Bands wie AC/DC ein Thema hin, das du für alle Ewigkeit im Kopf behältst. Bei den Death Metal Bands ist es oft schneller und komplexer. Mich interessiert es, klar erkennbare Rhythmen oder Melodien zu komponieren. Mit großen Materialschlachten und komplexen Gedanken kannst du mich ins Grab bringen. Das interessiert mich nicht.

 

terz: Die Klarheit, von der du sprichst, ist in deinen letzten Werken in Form einer bewussten Reduktion komplexer Strukturen erkennbar. Was steckt hinter diesem Anspruch?

 

Gander: Ich bin zu 99 % Zuhörer und will kapieren, was auf der Bühne abgeht. Wenn siebzehn Schichten gleichzeitig  ablaufen, dann höre ich die nicht. Das finde ich schade um die Arbeit. Eine Schicht ist super, könnte aber langweilig werden, zwei Schichten sind interessanter und drei Schichten sind schon komplex. Ich höre momentan bei vier Schichten auf, das ist zum Hören dann schon schwierig.

 

terz: Während du dich in der Mehrheit deiner Kompositionen auf außermusikalische Aspekte beziehst, hast du nun mit "take nine (for twelve)" ein Stück geschrieben, das dezidiert von rein musikalischen Ideen ausgeht. Ist das der Beginn einer Entwicklung, möchtest du stärker in diese Richtung weiterarbeiten?

 

Gander: Ja, ich möchte aus diesem Stück einen Zyklus machen. Bei „take nine“ behandle ich den Neunerrhythmus und möchte noch weitere Rhythmen bearbeiten. Daraus würde ich gerne einen großen Ensemblezyklus machen.

 

terz: Ist das für dich auch eine Befreiung?

 

Gander: Ja, witziger Weise ist mir das erst aufgefallen, als ich mit "take nine" fertig war. Ich habe mir gedacht: Hoppla, da habe ich ja gar keine Geschichte, keinen Comic, keinen Superhelden, sondern nur Rhythmus. Das ist eine echte Befreiung. 

 

Bei KAIROS erscheint im Februar Bernhard Ganders neue CD "monsters and angels". Axel Petri-Preis hat zu "Peter Parker", "lovely monster" und "dirty angel" Unterrichtsmaterialien erstellt.

 

LINKS:

 

terz-Unterrichtsmaterialien zu Bernhard Gander

KAIROS

Thema: Metal - Zwischen Kitsch und Avantgarde 



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