Salzburg Biennale: Lucia Ronchetti - Lezioni di tenebra

Musikalisches Puppentheater zwischen gestern und heute 

Irgendwo zwischen konzertanter Aufführung, szenischer Umsetzung und Puppentheater bewegte sich die österreichische Erstaufführung der Oper Lezioni di tenebra. Riduzione dal Giasone di Francesco Cavalli (UA 2011) der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti (*1963). Die erste Aufführung des diesjährigen szenenwechsel-Blocks der Salzburg Biennale lud ins republic ein, das sich einmal mehr als wandelbarer Bühnenraum präsentierte und das Publikum in der Inszenierung von Matthias Rebstock (Regie), Mirella Weingartner (Bühnenbild und Geschöpfe) und Sabine Hilscher (Kostüme und Geschöpfe) in die Welt des Mythos von Jason und Medea entführte.

 

Unter der musikalischen Leitung von Tonino Battista brachten das Parco della Musica Contemporanea Ensembles und das Vocalconsort Berlin den von Ronchetti komponierten Spagat zwischen barocker Oper und zeitgenössischer Musik wunderbar und wie selbstverständlich zum Klingen. Ronchetti, die in ihrer Riduzione nicht nur die Handlung der Oper Giasone von Cavalli (1648/49) stark verkürzt und auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten fokussiert, reduziert auch das Ensemble auf die sechs zentralen Figuren, die lediglich von einem Sopran und einem Countertenor gesungen werden. Stimmlich vielseitig und darstellerisch hervorragend verkörperte der Countertenor Daniel Gloger die Persönlichkeiten Giasones, Orestes und Isifiles in all ihren Facetten glaubhaft und gab jeder Figur eine individuelle Prägung. Weniger facettenreich legte die Sopranistin Katia Guedes ihre Darstellung der Medea, des Egeo und des Demos an. Leider blieben diese Figuren in ihrem Ausdruck zu ähnlich und verloren sich in einigen Passagen in der musikalischen Begleitung.

Die emotionalen Aspekte der Beziehung zwischen den einzelnen Figuren lotet Ronchetti musikalisch vielseitig aus. Diese plastisch und lautmalerisch angelegten Abschnitte werden immer wieder von Fragmenten (Chöre und Arien) aus der Oper von Cavalli abgelöst, die den Raum kurzfristig in eine barocke Harmonie hüllen.

 

Die im musikalischen Ausdruck und der Struktur der Komposition angelegte Spannung zwischen Vielschichtigkeit und Reduktion fand ihre direkte Spiegelung in der szenischen Umsetzung. Sowohl der Raum als Ganzes als auch die Kostüme waren einfach und in schwarz-weiß gehalten. Durch die Platzierung der MusikerInnen und SängerInnen zu allen vier Seiten des Publikums und das Spannen von beweglichen Seilen zwischen den sechs beteiligten SängerInnen über den Köpfen der ZuschauerInnen entstanden neue Räume, die die verschiedenen Dimensionen des Beziehungsgeflechts zwischen Giasone und Medea ausloteten. Die SängerInnen agierten ausschließlich stehend an ihrem Platz. Die eigentliche Handlung fand über den Köpfen des Publikums an Seilen statt. Auf den dort entstandenen Wegen zogen langsam abstrakt und fragil gestaltete Puppen ihre Bahnen, trafen sich, traten in Dialog miteinander und trennten sich wieder. Diese ausgestellte Fragilität und Irrealität in einem schwebenden Raum, der vom Publikum nie als Ganzer überblickt werden konnte, sondern immer nur in den Teilen wahrnehmbar war, auf die sich der eigene Blick richtete, betonte das mythische der Geschichte von Giasone und Medea. Erst im letzten Moment, in dem sich die Emotionen zwischen Giasone und Medea auch musikalisch in einer steigenden Dynamik entladen wich die bis dahin abgedämpft erscheinende Atmosphäre der energiegeladenen Bewegtheit einiger Scheinwerfer, die wie aufgeregte Lichtkugeln zwischen Giasone und Medea hin und her irrten.

 

Sowohl musikalisch als auch szenisch gelang dieser Aufführung ein Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Spiel und Realität. Lucia Ronchetti kreiert in Lezioni di tenebra ein im Jetzt verankertes menschliches Beziehungsgeflecht, das dennoch nicht ohne Vergangenheit auszukommen scheint, aber auch in die Zukunft weist.

 

Anja Arend