Vermittlung Magazin

Friedrich Cerhas Weg zum Dirigenten

Interviews aus dem Filmprojekt "Cerha – der Dirigent" mit einer Einleitung von Rudolf Illavsky

PORTRAIT
Rudolf Illavsky

1977-1982 Mitglied der Wiener Sängerknaben, danach Kontrabass-studium. 1986-1989 Kontrabasssubstitut an der Wr. Staatsoper und bei den Wr. Philharmonikern. Kontrabassist des ORF RSO Wien, seit 1996 Geschäftsführer des Ensembles "die reihe". Ab 2006 Kontrabassist bei der Camerata Salzburg.

www.diereihe.at

Friedrich Cerha wird am 17. Februar 1926 in Wien geboren. Von seinem sechsten Lebensjahr an hat er Geigenunterricht bei einem tschechischen Geiger, wie alle seine späteren Geigenlehrer Tschechen sind. Vier Jahre später, an einer Zweiganstalt des Konservatoriums der Stadt Wien in Ottakring, nimmt Cerha seine Mutter an der Hand und informiert sie, dass er Komposition, Harmonielehre und Kontrapunkt lernen möchte. Da ist er zehn und stößt auf einen sehr verständnisvollen Direktor, selbst Komponist, und erhält dort einen strengen, altmodischen Kompositions- und Theorieunterricht mit einer Unzahl von Aufgaben, wodurch sich seine Noten im Gymnasium etwas verschlechtern.

Cerha hat zwei Mal in der Woche, jeweils dienstags und freitags, Kompositionsunterricht mit Aufgaben, wie 12 Menuette mit Trios zu schreiben. Sein Kompositionslehrer, der den Schülern solche Monsteraufgaben über kurze Zeit gibt, ist der Meinung, ein Komponist müsse lernen, schnell zu arbeiten. Der Umgang mit dem Satz und auch zu erleben, wie etwas an Phantasie sich schriftlich realisiert, ist ganz wichtig für ein späteres Umsetzen eines Werkes in die Praxis, in die Realität.

Neben dem Kompositionsunterricht wird Cerha auch hervorragend auf der Violine ausgebildet. Sein Geigenlehrer, ein überzeugter Panslawist, bietet ihm nebenbei eine umfassende Studienliteratur an und belehrt Cerha während des Zweiten Weltkrieges bezüglich politischer Verhältnisse. Durch ihn bekommt Cerha zu lesen, was im Zweiten Weltkrieg sonst nicht möglich ist, Tolstoi und Dostojewski. 1942 hat Cerha seine Schwierigkeiten mit der Hitlerjugend, die verpflichtende Heimabende und Exerzieren in der Gruppe vorschreibt, was ihm in einem hohen Grad verhasst ist. Die HJ mit der Devise "Du bist nichts, dein Volk ist alles" ist genau das, was Cerha nicht will. Unter anderem darüber wird Cerha "zum fanatischen Antifaschisten und Rebellen."1

 

Um dem HJ Dienst zu entgehen, meldet sich Cerha als Geiger bei der Rundfunkspielschar der Hitlerjugend. In dieser Gruppe finden sich Instrumentalisten aus ganz Wien zusammen, um Hörfunksendungen zu produzieren. "Es wurde aber der Wunsch an uns herangetragen, auch ein Blasinstrument zu erlernen und ich hab also damals ein, oder eineinhalb Jahre Klarinette gelernt, hab’s aber auf der Klarinette nicht weit gebracht."2 Daneben lernt Cerha noch Klavier, Bratsche und ein bisschen Kontrabass.

 

1943 wird Cerha zur Wehrmacht einberufen, kommt aber in Dänemark in Kontakt zur dortigen – und später – zur deutschen Widerstandsbewegung, die ihn beim Verlassen des Militärs schützt. 1945 lebt er für ein Jahr als Bergführer in Tirol und kehrt – zunächst ungern – Ende des Jahres in akademische Ordnungen zurück. Ab 1946 studiert er in Wien an der Akademie für Musik Komposition bei Alfred Uhl, Violine bei Váša Příhoda und Musikerziehung. An der Universität studiert er Germanistik, Musikwissenschaft und Philosophie. 1950 promoviert Cerha zum Doktor der Philosophie, und bis 1953 schließt er seine Musikstudien ab.

Friedrich Cerha: "Ich bin in meinem Kompositionsstudium – weil ich das Gefühl hatte, ich weiß von den Instrumenten, der Technik, ihren Schwierigkeiten und Möglichkeiten zu wenig – von einer Klasse in die andere gegangen und von einem Lehrer zum andern und hab gebeten, ob ich zuhören darf und viele Lehrer haben mich dann auch auf bestimmte Dinge aufmerksam gemacht. So bin ich hineingewachsen in das Gefühl, wie man ein Instrument in der Hand hat und nun also einen Ton oder eine Phrase produzieren soll; das Gefühl dafür scheint mir sehr wichtig."3

 

Cerha intensiviert seinen Kontakt zum, von avantgardistischen Malern und Literaten dominierten, "Art-Club", einer 1947 gegründeten Plattform für junge Maler, Bildhauer, Autoren und Musiker im Kampf um die Autonomie der modernen Kunst. Auch der Kontakt zur 1922 in Salzburg gegründeten internationalen Gesellschaft für Neue Musik, kurz IGNM, ist für Cerhas künstlerische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Dort gibt ihm Josef Polnauer, ein Beamter der österreichischen Bundesbahn und Kompositionsschüler Arnold Schönbergs, wesentliche Analyse- und Interpretationshinweise zu Werken der Wiener Schule. Polnauer ist später bei allen Proben, die Cerha für Werke von Schönberg, Berg und Webern macht, anwesend und liefert ihm viele aufschlussreiche Anregungen, weil er sich an Proben von den Uraufführungen dieser Werke im Schönberg-Kreis erinnert.

 

Ab 1956 nimmt Cerha an den Darmstädter Ferienkursen teil. Friedrich Cerha: "Einige Male mit Schwertsik – und hab dort Webern Aufführungen erlebt, mit denen ich überhaupt nicht einverstanden war. Man hat in Darmstadt Webern als eine Art Vater der seriellen Musik gesehen – mit einem gewissen Recht – aber die musikalische Vorstellung Ende der 50er Jahre war die einer punktuellen Musik, und man hat Webern auf ein derartiges punktuelles Klanggeschehen hingetrimmt, hat die Phrasendarstellung kaum, und vor allem die unendlich vielen Ritardandi bei Webern, die in der sinnvollen Artikulation so wichtig sind, so gut wie nicht gemacht und das war für mich eine Verzerrung des Bildes von ihm. In Darmstadt hat man die Tempi überzogen, wodurch u.a. eben dieses punktuelle Klangbild entstanden ist. In den 80er, 90er Jahren habe ich dann eine gewisse Genugtuung erlebt, dass mein Webern-Bild sich allgemein durchgesetzt hat; Boulez dirigiert heute einen musikalisch sehr sinnvollen und sehr schönen Webern, im Gegensatz zum Webern Ende der 50er Jahre."4

 

Bei den Darmstädter Ferienkursen besucht Cerha auch als Geiger Kurse von Rudolf Kolisch und Eduard Steuermann, zwei weiteren intimen Kennern des Musizierideals der Schönberg-Schule. Neben seiner Tätigkeit als Konzertgeiger ist Cerha ab 1956 auch als Musiklehrer tätig und, obwohl er keine Kapellmeisterklasse besucht, profiliert Cerha sich zunehmend als Dirigent.

 

Friedrich Cerha: "Ich habe als Geiger viel in Orchestern gespielt, auch substituiert in der Oper und sehr verschiedene Dirigenten erlebt, ich hatte auch gute Kontakte zu Swarovsky, der damals die Dirigentenklasse geleitet hat. Mangels weiterer musikalischer Erwerbsmöglichkeiten musste ich außerdem 10 Jahre an Gymnasien in Wien unterrichten und hab dort auch Schulorchester aufgebaut und die natürlich auch bei Konzerten dirigiert. Dr. Zwölfer hat dann das Musische Gymnasium in der Wasagasse ins Leben gerufen. Ein Großteil der Studenten hat dort später neben dem Gymnasium die Musikakademie besucht und ich konnte daher ein recht gutes Orchester aufbauen. Das hab ich auch immer wieder – im Mozart-Saal und im großen Musikvereinssaal – dirigiert, wobei auch die Lehrkräfte des Gymnasiums im Orchester mitgewirkt haben."5

 

Cerha, der schon bald außerhalb doktrinärer Systeme seinen Visionen nachgeht und Entwicklung nicht grundsätzlich in einer schnurgeraden kreuzungsfreien Einbahn sieht, gehört mit Kurt Schwertsik zu den Underground-Optimisten, die wider besseres Wissen die Realität der traditionell verkrusteten Musikszene der späten Fünfzigerjahre in Wien "übersieht". Mit einigen anderen interessierten Musikern gründen sie 1958 das Ensemble "die reihe". Ihr Ziel ist, in einer Reihe von Veranstaltungen und in exemplarischen Interpretationen kontinuierlich alles zu präsentieren, was ihnen zugänglich ist und für den gegenwärtigen Stand musikalischen Denkens von Belang zu sein scheint. Das Ensemble leistet in der Folge Pionierarbeit bei der Präsentation neuer Werke, aber auch der Musik der Klassischen Moderne, vor allem der Wiener Schule. Außer Schwertsik und Cerha ist niemand präsent, der die Literatur wirklich kennt, so sind sie gezwungen, die Einstudierung selbst in die Hand zu nehmen und zu dirigieren.

 

Friedrich Cerha: "Wir haben in den ersten Jahren in unseren Konzerten immer wieder Ravel und Janáček und Hindemith, Strawinski gemacht, und wir haben auch Werke gemacht, die in Wien völlig unbekannt waren. Einem breiteren Publikum, ja nicht einmal Fachleuten waren Namen wie Ives oder Varèse bekannt, und eigentlich war diese sinnvolle Programmierung mit ein Grund, warum es in Wien auch in den "reihe" Konzerten immer ein relativ breites Publikum gegeben hat. Wir mussten ja schon nach den ersten Konzerten vom Schubert Saal in den größeren Mozart Saal wechseln. Eine wichtige Etappe diesbezüglich war dann 1978 - 1983, wie Landesmann Generalsekretär des Konzerthauses war, der Zyklus "Wege in unsere Zeit". Ich hatte da das unendliche Glück, in fünf Jahren je sieben Konzerte zu programmieren, also 35 Konzerte in Richtung auf Brücken in die Gegenwart und habe da das Ganze, so reiche Spektrum von 1900, oder sogar schon vorher – von Wagners "Siegfried Idyll" oder Wedekind-Liedern angefangen, bis herauf zur damaligen Gegenwart programmieren können. Dieses Unternehmen hat offensichtlich ein breites Publikum angesprochen, eine große Neugierde erweckt und es gab dann für Neue Musik insgesamt in Wien immer mehr Publikum, worum uns viele ehemalige Zentren für Neue Musik in den 50er und 60er Jahren – etwa wie Köln, Stuttgart oder Hamburg – beneideten. Boulez hat in einem Interview auf das hervorragende Wiener Publikum aufmerksam gemacht, das so aufgeschlossen ist für Neue Musik."6

 

Nach einem der ersten "die reihe" Konzerte wird Cerha von einem holländischen Manager sofort als Dirigent nach Holland engagiert. Neben jetzt zahlreichen Auftritten in Holland dirigiert er auch in Paris und ab 1960 an der Deutschen Oper Berlin. Gleichzeitig erarbeitet er beim RIAS viel an Neuer Musik, unter anderem auch eigene Werke. Neben Neuer Musik dirigiert Cerha übrigens eher durch Zufall in Holland wiederholt auch Joseph Haydn. "Haydns frühe Symphonien sind mir ja bis zum heutigen Tag ans Herz gewachsen, und ich galt dann so Ende der 60er Jahre in Holland als Haydn-Spezialist, und wurde immer wieder für diesbezügliche Aufgaben geholt."7

 

Cerha arbeitet in Folge regelmäßig für die bedeutendsten Institutionen zur Pflege Neuer Musik, große internationale Festivals und Opernhäuser, unter anderem Warschauer Herbst, Prager Frühling, Biennale Zagreb, Biennale Venedig, Holland-Festival, Salzburger Festspiele, Wiener Festwochen, Berliner Festspiele, Deutsche Oper Berlin, Teatro Colon Buenos Aires, Concertgebouw Orchester Amsterdam, Berliner Philharmoniker, Cleveland Orchestra und Lincoln Center New York. Mit dem ORF-Symphonieorchester – dem heutigen ORF RSO Wien – erarbeitet Cerha auch als Dirigent etliche seiner Uraufführungen.

 

Für Interpreten, die unter Cerhas Dirigat musizieren, gilt er allgemein als streng und unversöhnlich korrekt. "Vor allem bei Webern-Interpretationen, hab ich’s mir einmal gründlich mit dem holländischen Kammerorchester verscherzt, weil ich nicht und nicht zufrieden war. Ich bin also, was Webern-Interpretation anlangt, überaus anspruchsvoll. Bei den eigenen Sachen versuche ich natürlich auch, das herauszuholen, was ich mir klanglich vorgestellt habe. Manche Komponisten sind beim Dirigieren eigener Kompositionen recht 'großzügig', was z.B. über Richard Strauss berichtet wird. Das hängt bei Strauss u.a. auch damit zusammen, dass zumeist, wenn einem Instrument etwas missglückt oder etwas nicht da ist, der Satz noch immer vollkommen klingt und man kleine Mängel musikalisch eher verschmerzen kann. In neuerer Literatur – etwa bei Webern – ist das oft nicht so; da muss, um ein vollständiges Klangbild zu erzielen, jedes Instrument absolut korrekt da sein und es muss auch die dynamische Balance wirklich genau stimmen. Ich hab ja immer beim Dirigieren die Schwierigkeit gehabt, dass ich eine Idealvorstellung gehört hab, die natürlich bei der Trägheit des großen Orchesterapparats in der Realität ja nie 100-prozentig zustande kommt und wenn ich also nur 80 oder 70 Prozent meiner Vorstellungen erreicht hab, hat mich das mitunter deprimiert. Aber ich habe umgekehrt in den letzten 10 Jahren wiederholt erlebt, dass ich, wenn andere Dirigenten meine Werke dirigiert haben, schon zufrieden war und die Dirigenten noch nicht. Das ist mir z.B. bei einer Produktionsaufnahme meines "Monumentum" mit Dennis Russel Davis so gegangen, der, wo ich eigentlich schon voll zufrieden war, noch zwei Mal Stellen aus dem Stück wiederholt hat."8

 

HK Gruber: "Manchmal ist man als Komponist beim Dirigieren eines eigenen Stückes so verletzlich, dass man wenig Distanz zu dem Stück findet, oder, was Cerha manchmal passiert, das ist rührend, dass er sich in Details seiner eigenen Musik verliert, manchmal den großen Bogen verliert, das finde ich rührend, wenn ich das bei ihm beobachte. Er kann sich da manchmal festkrallen bei einem Detail und wir schauen da alle schon auf die Uhr und denken 'Fritz komm, weiter, weiter, weiter', und er ist dann ganz rührend, klebt immer noch an einem Detail und vergisst die Welt daneben. Das ist aber sehr schön, dass es Menschen gibt, die sich Zeit nehmen für Details. Es ist auch nicht immer nur wenn es um seine Musik geht, ich kann mich erinnern – wir haben ja in der "reihe" von Anfang an sehr viel komplizierte Stücke gespielt, wir haben sehr viel Ligeti uraufgeführt – dass er Stunden an zwei Takten arbeiten konnte, und alle schon gestöhnt haben, aber letztlich zählt das Resultat, und wie gesagt, es ist nicht so, dass der Komponist, der sein Stück dirigiert, automatisch die beste Interpretation liefert, aber, wie soll ich sagen, die Chancen, dass die Interpretationen kompetent sind, kompetenter als wenn das ein normaler Dirigent macht, sind schon sehr groß und ich dirigiere selbst meine eigenen Sachen sehr, sehr gern, und der Fritz ist sich ganz selten im Wege gestanden beim Dirigieren eigener Stücke."9

 

Friedrich Cerha: "Ich hab lange Zeit eigene Arbeiten, vor allem solche, die proportionale Notation verwenden und bei Orchestern, die relativ wenig Routine im Lesen Neuer Musik haben, selber dirigiert, weil ich misstrauisch war, dass andere das meinen Wünschen entsprechend zustande bringen. Mittlerweile hat ja eine Vielzahl von Dirigenten – auch von jüngeren Dirigenten – sehr viel Erfahrung mit Neuer Musik. Es ist nicht so wie Ende der 50er oder Anfang der 60er Jahre, wo es nur wenige Spezialisten für Neue Musik gab, und ich hab daher in den letzten Jahren durchaus gute Erfahrungen mit anderen Dirigenten gemacht. Mit Bertrand de Billy z.B. beim Violinkonzert, der, obwohl wenig Probenzeit vorhanden war, in den letzten Proben alles noch sehr geschickt und sehr konzentriert 'zusammengerissen' hat."10

 

HK Gruber: "Als Dirigent ist Cerha ein ungemein genauer Probierer. Das hat ihm bisweilen die Nachrede eingebracht, ein 'Bitzler' zu sein, womit oft das Gegenteil von 'Vollblut' gemeint ist. 'Bitzeln' bedeutet: kleine Stücke abschneiden. Genau das tut Cerha, wenn er ein Werk bei der Probe völlig auseinandernimmt, kleinste Teilchen 'herausbeißt', um sie nach genauer Betrachtung mit den Musikern wieder zusammenzusetzen."11

 

Gerhard Windbacher (Schlagwerker "die reihe", Solopauker ORF RSO-Wien): "Cerha ist der einzige Dirigent, der es schafft ein accelerando vom Tempo Viertel ist 24 über sechs Takte auf 36 zu steigern. Das sagt sehr viel aus, diese Akribie mit der er vorgeht ist sensationell und es ist immer wieder ein Erlebnis, wenn er bei uns ist. Er ist nicht angenehm weil er sehr genau ist und ein Bitzler par excellence, bis er wirklich das hat was er will, da vergeht sehr viel Zeit."12

 

Erwin Klambauer (Flötist "die reihe", Soloflötist ORF RSO-Wien): "Er zerlegt das oft wirklich nur schichtweise, mal nur die obersten zwei Stimmen, dann vielleicht einmal Klarinette und Fagott, dann die Streicher dazu, er schneidet das schichtweise auseinander, um dann wieder zusammenzusetzen, man blickt einfach dann beim Proben viel besser durch."13

 

HK Gruber: "Er ist ziemlich genau beim Erarbeiten des Notentextes, ist aber dann, wenn die Sache einmal ineinander greift, eher großzügig. Bitzelig am Anfang und bei Details, wenn aber einmal eine Sache läuft, hat er mit der Zeit auch gelernt loszulassen. Manchem, der gern drauflosspielen möchte, scheint das wegen der notwendigen Unterbrechungen langweilig." 14

 

Josef Pitzek (Solokontrabassist ORF RSO-Wien): "Mir ist nie langweilig geworden. Ich liebe diese scheinbare Emotionslosigkeit an ihm."15

 

Erwin Klambauer: "Was mich bei Cerhas Dirigat immer beeindruckt hat und auch immer noch beeindruckt, ist die unheimliche Ruhe und Bedächtigkeit, mit der er zu Werke geht, bei seinen Werken, aber auch bei anderen Werken. Es ist auch ganz interessant, er ist nie aus der Ruhe zu bringen, durch nichts, durch niemanden, er bleibt ganz ruhig, und wie gesagt ganz bedächtig."16

 

Gerhard Windbacher: "Die einzige Routine, die sich da immer wieder ergibt ist sein Probenstil, die immer nach dem gleichen Schema abläuft, sehr zerpflückt bis ins letzte Detail. Er hat ganz genaue Vorstellungen von dem was er macht, und wenn man da einen Millimeter abweicht, dann kommt man automatisch in Konflikt mit ihm."17

 

Erwin Klambauer: "Ich denke, er rückt nicht von seiner Interpretation ab, wenn irgendetwas völlig gegen seine Intention wäre, würde man das bemerken." 18

 

Friedrich Cerha: "Die Probenarbeit ist doch enorm wesentlich, denn es kann sich bei der Aufführung dann aus der spontanen Situation nur wirklich etwas Sinnvolles ergeben, wenn die Basisstruktur des Werkes erarbeitet ist, sonst kommt es auch trotz aller Spannung und Spontaneität sehr leicht zu ungenügenden Resultaten und zu Verzerrungen."19

 

HK Gruber: "Sich latent ausbreitender Unaufmerksamkeit während der Proben in Form von Plaudereien stellt Cerha sich nicht radikal entgegen, – im Gegenteil: Er nimmt das Gespräch auf, bleibt Kollege und ergötzt sich mit allen zusammen an Späßen, die manchmal von enormer Situationskomik getragen sind. Er verhält sich dabei wie ein Arzt, der sich im Gespräch mit seinem Patienten um Verständnis für seine Maßnahmen bemüht und er erreicht nach derlei Aufenthalten umso mehr Konzentration und Korpsgeist im Ensemble oder Orchester."20

 

Adolf Hennig ("die reihe" Pianist): "Ich glaube, dass er ein sehr charismatischer Mensch ist, da bin ich mir hundertprozentig sicher, aber vom Dirigieren her ist es schwierig zu sagen, ich würde ihn eher als unglaublich präzise und zielstrebig bezeichnen." 21

 

HK Gruber: "Er kann mit seiner sehr zurückhaltenden Art Dinge präzise genau auf den Kopf treffend formulieren, und immer mit einem Schuss Ironie, mit einem Schuss Distanz, man kann da sehr viel von ihm lernen, also er ist geradezu von altösterreichischer Grandezza."22

 

Gerhard Windbacher: "Motivieren ist glaube ich nicht seine Stärke, weil er vielleicht das eine oder andere Mal schon zu früh zu viel fordert, manchmal muss man sich ja selber erst akklimatisieren in seinem Part und das was man zu tun hat, und bevor man da überhaupt Luft schnappen kann ist er schon da und fordert."23

 

HK Gruber: "Ich war eigentlich immer der Meinung, er erlebt die Welt in erster Linie analytisch, aber wie ich vor zwei Jahren seine "Impulse" in Amerika dirigiert habe, und mit ihm über die Temporelationen in diesem Stück diskutiert habe - und ich habe mich sehr bemüht, die einzelnen Verhältnisse der Tempi zueinander korrekt zu organisieren – sagt er plötzlich zu mir: "Nali, mach’s aus dem Bauch, du kannst es!" Da war ich sehr überrascht. Ich war auch überrascht, dass er mir das zugetraut hat."24

 

Péter Eötvös meint in einem Interview, es gibt "keine dirigentische Technik, es gibt nur die Überzeugungskraft, und die hat man oder man hat sie eben nicht. Du kannst dich hinstellen und nur die Augen oder den Kopf bewegen, und das Orchester beginnt zu spielen, wenn du das überzeugend machst. Es geht um ein Grundverhalten."25

 

Friedrich Cerha: "Ich teile diese Meinung nur, wenn ein Dirigent ein hohes Ausmaß an Erfahrung im Umgang mit dem Orchester gewonnen hat. Ich glaube, für die ersten 10 Jahre in der Laufbahn eines Dirigenten gilt das also nur sehr beschränkt. Ich erinnere mich an die späten Dirigate von Böhm, oder von Mitropolus, der auch mit einer äußersten Sparsamkeit Dinge angezeigt hat, oder ich habe noch Richard Strauss als Dirigenten erlebt, der so gut wie nichts gezeigt, sondern immer nur geschlagen hat; wenn er etwas hervorgehoben haben wollte, hat er einfach den Instrumentalisten angeschaut und das hat eigentlich erstaunlich funktioniert. Strauss hat jede theatralische, große Geste vermieden, hat gerne sitzend dirigiert – auch im Konzert – und wenn er dann an einer Stelle aufgestanden ist, ist das Orchester aufgegangen wie kaum bei einem anderen Dirigenten. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit Furtwängler. Die exzessiven Tempi, die enormen Temporückungen – die oft extrem langsamen Tempi und dann mitunter das Verhetzen, das ich erlebt habe. Ich habe in sehr jungen Jahren eine IX. Beethoven gehört, wo ich einfach den Schluss nicht verstanden hab, weil er so schnell war und das Orchester für mich nur ein einziges Gerausche war. Unter den Dirigenten, die mir Eindruck gemacht haben, waren Böhm, sicher in einzelnen Fällen – vor allem auch wegen der überaus gründlichen Probenarbeit – Karajan; sehr geschätzt habe ich Mitropolus, wenn er dirigiert hat war das für mich jedes Mal ein großes Erlebnis. Ich hab aber auch ich einen Dirigenten gern gehabt, der heute relativ wenig bekannt ist, einen Engländer; er war überaus sachlich und sparsam und hat eine enorme Ausgewogenheit erreicht, die man heute etwas weniger schätzt; das war Sir Adrian Boult."26

 

Ein Jahr vor der Gründung des Ensembles "die reihe" im Jahr 1958, gibt Nikolaus Harnouncourt mit seinem Concentus Musicus das erste öffentliche Konzert. Wie Cerha, lehnt Harnoncourt vorhandene Meinungen und Urteile zunächst einmal ab, damit er sich unbefangen und selbständig seine eigenen bilden kann. "Ich schätze Harnouncourt natürlich als Musiker, aber ich hatte auch schon bei seinen Interpretationen alter Musik gewisse Schwierigkeiten: Sein crescendo – diminuendo auf langen Notenwerten, auch auf Schlussakkorden – vor denen er relativ lang einhält und auch dieses crescendo – diminuendo in vielen Phrasen; ich hab das immer die "harnoncourtschen Bäuche" genannt. Ich hab auch mit vielen Tempi - bei Mozart z.B. – meine Schwierigkeiten. Ich habe nie unter ihm gespielt, also von Seiten des Musikers kann ich sein Verhalten nicht kommentieren. Ich weiß nur von Instrumentalisten, dass sie anfangs bei seinen Dirigaten Schwierigkeiten hatten, aber das scheint sich in den letzten Jahren geändert zu haben, was sicher auch mit seiner zunehmenden dirigentischen Erfahrung zusammenhängt. Wenn Dinge glücken, Auftakte, oder das Anreißen eines neuen Tempos, dann schaut man sich natürlich an, wie er das gemacht hat und da hab ich natürlich eine Vielzahl von Anregungen empfangen und aufgenommen."27

 

HK Gruber: "Cerha selbst entwickelt einen Stil des "Anti-Show-Dirigierens". Während der Erfolg anderer Dirigenten ganz offenbar auf gymnastische Anstrengungen zurückzuführen ist, sieht er sich nie genötigt, Vorgänge – wie etwa eine Umkehrung – kopfstehend zu dirigieren. Trotz aller Verweigerung herkömmlich musikantischer Gebärde wird aber hier offensichtlich auf allen Linien Begeisterung erzielt; – kaum wo in Wien ist lebhafteres Publikumsinteresse zu verzeichnen und mancher Enthusiast spricht von "reihe"-Konzerten, – dabei im Überschwang den inneren Widerspruch in seinem Kompliment übersehend – als von den "Philharmonischen" der Moderne."28

 

Friedrich Cerha: "Heute ist der Begriff der Werktreue suspekt geworden, und ich bin ja nach wie vor nicht der Meinung, dass die Musik zwischen den Noten steht, sondern in den Noten und man muss sie nur herausholen; darauf kommt es an. Für die Entstellungen und Verzerrungen, durch die manche Leute in allen Bereichen der Kunst glauben, sich profilieren zu müssen, hab ich also wenig Verständnis. Die Wünsche an meine Musiker sind das genaue Erarbeiten des Notentextes und die präzise Umsetzung dessen, was der Komponist gewollt hat."29

 

HK Gruber: "Ein Dirigent muss so anschaulich probieren, dass jedem Mitwirkenden die Wichtigkeit seiner Funktion auch im winzigsten, scheinbar unwichtigen Detail bewusst und sinnfällig wird. Das erweitert den Aktionsradius des Musikers im Konzert. In der Probe erarbeitet, was in den Zeilen steht, kann er dann bringen, was zwischen den Zeilen steht. Cerha wendet einen seiner wesentlichen Gedanken abgewandelt auch als Interpret an, wonach 'Neuerungen nicht im Material, sondern in der geistigen Leistung, in der schöpferischen Bewältigung' zu suchen sind."30

 

Erwin Klambauer: "Ich denke, dass er schon die Musiker mitreißen kann und wie das üblich ist, wenn ein Dirigent seine eigenen Werke dirigiert, will man als Musiker genau wissen, was hinter den Noten steht, was hat er gemeint, das bringt er sehr gut rüber."31

 

HK Gruber: "Er ist ein Meister des analytischen Probierens. Als wir z.B. Amériques von Varèse aufgeführt haben – da war ich dabei – war sehr interessant zu beobachten, wie er die einzelnen Schichten des Klanges abgehoben hat, Schichten freigelegt hat, die man normalerweise gar nicht hört, gewisse Korrespondenzen zwischen Instrumenten, die einander nicht hören können – den Musikern und damit auch dem Publikum bewusst gemacht hat. Dieses analytische Probieren ist ein großes Talent von ihm, ich hab das immer mit sehr großem Vergnügen verfolgt, wenn ich mitgespielt hab, aber auch mit ihm persönlich ein Stück erarbeitet hab, wie beispielsweise die Keintate, oder Eine Art Chansons. Er versteht es, Texte durch bestimmte Bilder, die er in den Raum stellt, zu verdeutlichen, und ich hab in meinen Noten immer drinstehen, was mir der Fritz erzählt hat, und das begleitet mich jetzt schon ein Leben lang, und das macht eben seine Persönlichkeit aus. Man hat oft als Außenstehender den Eindruck, er ist ein trockener Mensch, und in Wirklichkeit ist er ein durch und durch Vollblutmusiker und ein Mensch von überquirlendem Humor. Cerhas 'Vollblut' stellt sich nicht auf herkömmliche Art zur Schau und lässt sich auch nicht so 'verwursten'. Wenn ihm sein Temperament, wie bei einem Konzert im Finale von Varèses Amériques als der ganze Konzertsaal schon fast am "Abheben" ist, die Brille ins Parkett schleudert und er – davon unbeirrt – noch einige Schaufeln ins Feuer legt, so zeigt das ja deutlich genug, dass er’s nicht nur im Kopf hat. Viele Dirigenten setzen sich – sehr zum Ergötzen des Publikums – über analytische Probenarbeit elegant per Hüftschwung hinweg und vermachen eigentlich nicht mehr als zu verkaufen, als ererbte Manierismen, – als "Vollblut" getarnt."32

 

Friedrich Cerha: "Ein Dirigent soll einfach die Qualitäten haben, die jeder gute Dirigent haben soll: Einerseits sehr gut vorbereitet sein, das Werk kennen und eine klangliche Vorstellung vom Werk haben und dann entsprechend arbeiten. Man muss im Stande sein, dem Orchester zuzuhören und abzuwägen, wo noch Dinge zu korrigieren sind und eigentlich sind das Aufgaben, die genauso für einen Schubert gelten wie für einen Webern oder für einen Boulez."33

 

Gertraud Cerha: "Nur dass die Orchester Schubert kennen, und Webern schon viel schlechter und Boulez wahrscheinlich am schlechtesten. Das Studium erfordert dann eben auch sehr viel mehr Zeit."34

 

Friedrich Cerha: "Ich versuche mich natürlich über die Entstehungsgeschichte, über die Komponisten zu orientieren, aber das Wesentliche ist das Studium der Partitur. Wenn ich alte Literatur dirigiert habe, Schubert oder Mendelssohn oder Brahms, dann habe ich mich natürlich auch für die Rezeptionsgeschichte dieser Werke interessiert, und auch bei Webern gibt es ja schon eine, auch bei Schönberg und bei Berg. Das hat mich doch immer sehr beschäftigt. Vor allem bei Webern, weil ich Webern schon in den 50er Jahren sehr viel studiert habe."35

 

Gerhard Windbacher: "Wenn er sich mit einer Partitur auseinandersetzt, ist es, glaube ich, egal, welcher Komponist da dahintersteckt. Er nimmt das alles sehr ernst und zerpflückt das bis ins letzte Detail."36

 

Friedrich Cerha: "Ich galt ja immer wieder als ein ins Detail verliebter, anspruchsvoller Dirigent und ich muss gestehen, dass ich mich, was die zeitliche Probendisposition betrifft, mitunter etwas verrannt habe. Ich habe den Dohnanyi beim Einstudieren des Baal sehr bewundert. Als die Probenzeit eng geworden ist und alles sehr gedrängt war, hat er durchgespielt und einfach die fünf Stellen registriert, wo noch am meisten zu verbessern war. Die hat er herausgegriffen und er hat diese wirklich elementaren Dinge mit einer souveränen zeitlichen Disposition erarbeitet, etwas, was mir mitunter gefehlt hat."37

 

Erwin Klambauer: "Man weiß, dass die Probe unbedingt bis zur letzten Sekunde dauern wird, ich habe noch keine Probe mit ihm erlebt, die früher zu Ende gegangen wäre, zwei Minuten vor Probenende heißt es, spielen wir es noch einmal durch, darauf kann man sich einstellen."38

 

Adolf Hennig: "Es entgeht ihm überhaupt gar nichts, und wenn das noch so leise und noch so weit weg ist und noch so kompliziert ist, er weiß ganz genau, dass da was bestimmt fehlt bis zur letzten Sekunde, noch in der Generalprobe werden Fehler gefunden und versucht auszubessern damit es wirklich perfekt wird, und ich glaube er hat es – und das ist bei Neuer Musik sehr, sehr schwer – fast immer geschafft, im letzten Moment noch das Allerbeste herauszuholen. Das ist zwar für alle anstrengend, die mitmachen, aber dafür umso effektiver."39

 

Josef Pitzek: "Wunderbare Übergänge vermittelt er durch verständliche Pulsgebung, sein richtiges Hören und sein Sinn für harmonische Balance machen jede Probe zum Vergnügen."40

 

Cerha überlässt in seinen Konzerten wenig dem Zufall, dem ungeachtet ist Cerha "eigentlich immer aufgeschlossen und glücklich, wenn sich die Individualität des Musikers in der Interpretation, in der Phrasendarstellung, im Espressivo zeigt; wenn da Musikalisches, dem Werk Adäquates kommt, bin ich also durchaus sehr froh und begrüße das. Natürlich gibt es auch Werke, wo gewisse instrumentale Gewohnheiten im Orchester unangebracht sind und wo man sozusagen einige der Freiheiten des Musikers beschneiden muss, was ich aber immer nur vorsichtig und ungern getan hab."41

 

Erwin Klambauer: "Im Konzert hat man schon Freiraum, man fühlt sich nicht eingeengt oder stur eingezwängt in ein Schema, das er durch sein Dirigat vorgibt. Man kann gut und ordentlich und frei phrasieren, und ich habe nie das Gefühl, dass er einem ein enges Korsett anlegen will, was seine Stücke betrifft."42

 

Friedrich Cerha: "Wenn ein Stück gut geprobt war, habe ich dann bei der Aufführung versucht, das Orchester einfach spielen zu lassen, und nur wo ich etwas hervorgehoben haben wollte, habe ich eingegriffen. Das hab ich natürlich in den ersten Jahren meiner dirigentischen Tätigkeiten nicht getan."43

 

Adolf Hennig: "Er greift genau dort ein, wo’s notwendig ist, also dort, wo er mehr Kontraste braucht, wo er mehr Akzente will, wo er einfach mehr Transparenz entweder in der Klangbalance braucht oder vom Tempo her. Er greift sicher nur dort ein, wo’s dem Stück auf jeden Fall gut tut und dem Werk dient. So sehe ich das, weil die Proben mit ihm sind immer extrem intensiv und ausgiebig wie sonst kaum mehr leistbar."44

 

Gerhard Windbacher: "Wenn man ihn kennt, wie er arbeitet, und was er von den Musikern und von seinem Stück will, dann kann man sehr viel beisteuern, aber ich kann mich erinnern an die Langegger Nachtmusik, hab da ich im Concertino gespielt und ich hab eine Probe mit ihm alleine gehabt und ich habe die ersten drei Töne am Vibraphon gespielt, ganz langsam und solo, und alle drei waren falsch. Insofern ist es vielleicht jetzt ein kleiner Widerspruch, wenn man sagt, man bietet ihm was an, und das passt von vornherein, aber er findet immer etwas, was man besser und anders machen kann und soll."45

 

Friedrich Cerha: "Was ich als Dirigent nicht geschätzt habe, waren Orchester, die gewohnt sind, dass der Dirigent in einem hohen Ausmaß vorschlägt; damit hab ich mich immer schwer getan, weil es dann schwierig ist, während einer Aufführung rhythmisch zu koordinieren. Als ich an der deutschen Oper 1960/61, knapp zwei Jahre tätig war, hat mich Seefehlner – damals Direktor – gefragt, ob ich für das Repertoire ans Haus kommen will. Dieses Orchester war damals daran gewöhnt, dass ziemlich viel vorgeschlagen wurde. Ich habe mir da zwei Vorstellungen angesehen, eine Butterfly und ich glaube eine Tosca, hab aber dann abgewunken: das hab ich mir nicht angetan und war später sehr glücklich darüber."46

 

Gertraud Cerha: "Die amerikanischen Orchester sind ja an das Vorschlagen viel mehr gewöhnt als die europäischen."47

 

Friedrich Cerha: "Dort hab ich mir auch ein bisschen schwer getan, zuletzt in Cleveland, wo ich Haydns Cellokonzert dirigiert habe; da hab ich in wunderbarer Eintracht mit dem Solisten geschlagen, das Orchester hat aber von mir erwartet, dass ich vorschlage, das war etwas schwierig."48

 

Erwin Klambauer: "Wenn ich zurückdenke ist die Dirigiersprache vielleicht ein bisschen sparsamer geworden, hat vielleicht mit dem Alter zu tun - ich weiß es nicht - oder vielleicht mit einer gewissen Läuterung, oder noch mehr Ruhe die hineinkommt; aber, seine Bewegungen sind relativ sparsam. In seinen "Spiegeln" z.B. gibt es eine Stelle, da ist notiert, Viertel = 12, das heißt, ein Schlag dauert ungefähr fünf Sekunden, und das kann wahrscheinlich niemand dirigieren, nur er, Cerha mit seiner unglaublichen Ruhe."49

 

HK Gruber: "Ich kenne ihn so seit dem Jahre '58, '59, und seine Zeichensprache hat sich überhaupt nicht geändert, Körpersprache ist völlig gleich geblieben. Ich glaube der Cerha war schon fertig, wie er den ersten Auftakt seines Lebens gegeben hat."50

 

Friedrich Cerha: "Im heutigen Reise-Dirigententum haben viele Dirigenten kaum eine Chance, dem Orchester ein eigenes Interpretationskonzept und schon gar nicht ein neues Werk nahe zu bringen. Die Macht der Gewohnheit, das Korsett des Abonnenten Systems, die Kürze der Proben, verhindert oft die Entwicklung neuer Interpretationsansätze und macht den normalen Orchesterbetrieb zu einem Spielfeld unkreativer Wiederholungstäter."51

 

Gertraud Cerha: "Wie wir in der 'reihe' zum ersten Mal Le Marteau sans Maître, gespielt haben, haben wir an die 40 Proben gemacht. Das ist heute absolut undenkbar; obwohl alle reicher sind und es allen besser geht, geht das nicht mehr."52

 

Friedrich Cerha: "Es haben ja viele der bedeutendsten Orchester einen Chefdirigenten, der auch durch langjährige Arbeit einem Orchester einen Charakter gibt, wie es Solti mit dem Chicago Symphony Orchester getan hat, oder auch Concertgebouw Amsterdam, oder Berliner Philharmoniker oder Gewandhausorchester."53

 

Gertraud Cerha: "Solche Leute bauen natürlich ein Repertoire auf, einen Stil, eine Erfahrung im Umgang mit Literatur."54

 

Friedrich Cerha: "Es ist natürlich so, dass Chefdirigenten einerseits einen gewissen verwaltungstechnischen Aufwand auf sich nehmen müssen, und andererseits auch ein hohes Maß an Verantwortung. Es gibt Dirigenten, die eine Zeitlang Chefs von Orchestern werden und dann diese Belastung eigentlich nicht mehr auf sich nehmen wollen. Und dann gibt es noch etwas anderes in Bezug auf Chedirigenten: Zumeist oder oft sind sie ja auch Wunschdirigenten des Orchesters und die positiven Seiten unterdrücken in den ersten Jahren einer Arbeit die kleinen Wünsche von Seiten des Orchesters die offen bleiben. An die positiven Seiten gewöhnt sich ein Orchester bald, aber es kommen mit den Jahren die möglicherweise nicht ganz erfüllten Wünsche wieder hervor und das ist auch der Grund, warum die meisten Orchester nach einem gewissen Zeitraum ihre Chefdirigenten wechseln."55

 

Gertraud Cerha: "Es ist nicht nur so, dass die gehen, sondern dass auch die Orchester genug haben und einen anderen haben wollen."56

 

Friedrich Cerha: "Um eventuell bessere künstlerische Resultate zu gewährleisten, müsste vor allem sichergestellt sein, dass eine entsprechende Probenarbeit möglich ist. Mit den zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten im ganzen Kulturbetrieb werden auch die Proben zunehmend weniger und die Qualität der Aufführungen leidet mitunter darunter, wobei man aber hinzufügen muss, dass die Qualität der Orchester, und zwar aller Orchester in den letzten 30 Jahren enorm gewachsen ist. Die Orchester sind heute viel besser und arbeiten auch viel schneller als die Orchester am Beginn der 60er Jahre. Ferner müsste von Seiten der Konzertveranstalter darauf gesehen werden, dass das ganze Spektrum der Literatur an den Hörer herangetragen wird. Es entsteht dadurch, dass die Hörerfahrungen des klassischen Abonnementpublikum in den Abonnementprogrammen schon bei Richard Strauss und allenfalls noch Strawinsky oder Bartok aufhören, eine Kluft zwischen der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und dem, was gegenwärtig produziert wird. Es müsste also darauf gesehen werden, dass eine breite Hörerschicht die Entwicklung der Musik von 1900 bis 2000 wirklich erfährt. Einem Publikum, das nicht Hörerfahrungen in der Musik des 20. Jahrhunderts hat, Gegenwärtiges vorzusetzen, macht keinen Sinn. Wir haben ja auch in der "reihe" eben nicht nur Neue Musik gemacht, sondern haben immer Wert darauf gelegt, dass die Entwicklungen von 1900 bis zur jeweiligen Gegenwart in den Programmen aufscheinen. Nun aber sind die Leute, die damals in die Neue Musik hineingewachsen sind, inzwischen 60 oder 70, und es wäre ganz notwendig für die jungen Leute wieder ein derartiges didaktisches Unternehmen zu starten, damit der Abgrund, diese Kluft zwischen der Tradition und der gegenwärtigen Produktion nicht in dieser Generation wieder aufbricht. Jeder didaktische Zug ist ja heute verpönt, man prangert sofort den erhobenen Zeigefinger an, dabei wird übersehen, dass mit dem Programmieren von Konzerten, – ja mit der Art des Programmierens auf jeden Fall jeweils Einfluss auf das Publikum genommen wird; das heißt: jedes Konzertprogramm, das an ein Publikum herangetragen wird, ist in gewisser Hinsicht ein erzieherischer Akt und das ist eine Einsicht, der man sich heute gerne verschließt. Ein weiterer Wunsch wäre, dass Konzerte auch traditioneller Musik, aber in besonderem Maß neuerer Musik, von verständnisvollen, verantwortungsbewussten und kenntnisreichen Rezensenten kommentiert werden, und die Zeitungen ihnen entsprechenden Raum gönnen. Ich erinnere mich, wie die damalige IGNM – ich glaube das war 1956 –, in der Wohnung von Friedrich Wildgans, der damals Generalsekretär der internationalen Gesellschaft für Neue Musik war, Hans Kann und mich als Komponisten, vorgestellt haben: da waren 60 oder 70 Leute im Publikum, aber am nächsten Tag war in sieben Wiener Zeitungen eine ganze Spalte zu finden. Heute werden eigentlich sehr repräsentative und wichtige Konzerte zum Teil in den Zeitungen überhaupt nicht mehr kommentiert und wenn, dann erfolgt nur ein Bericht, was stattgefunden hat. Den Salzburger Festspielen ist noch mehr Raum gegönnt, den Bregenzer Festspielen schon viel weniger, aber sehr repräsentative und wichtige Konzerte in Wien sind oft kaum kritisiert."57

 

 

Der vorliegende Text ist eine Zusammenstellung von Interviews, die im Rahmen des Filmprojekts "Cerha-der Dirigent" von 2005/06 entstanden sind. Aus finanziellen Gründen konnte dieses ambitionierte Projekt nicht fertig gestellt werden.




  1. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  2. Ibid
  3. Ibid
  4. Ibid
  5. Ibid
  6. Ibid
  7. Ibid
  8. Ibid
  9. HK Gruber in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzzuschlag, 21. Oktober 2006
  10. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  11. HK Gruber: "Friedrich Cerha: Vollblut mit Maske". Aus dem Programmheft  zur UA "Netzwerk" im Theater an der Wien 1982
  12. Gerhard Windbacher in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  13. Erwin Klambauer in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Japan, Februar 2007
  14. HK Gruber in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  15. Josef Pitzek in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  16. wie Fußnote 13
  17. Gerhard Windbacher in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  18. Erwin Klambauer in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Japan, Februar 2007
  19. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  20. HK Gruber: "Friedrich Cerha: Vollblut mit Maske". Aus dem Programmheft  zur UA "Netzwerk" Theater an der Wien, 1982
  21. Adolf Hennig in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  22. HK Gruber in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  23. wie Fußnote 17
  24. HK Gruber in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzzuschlag, 21. Oktober 2006
  25. http://portraits.klassik.com/musikzeitschriften/template.cfm?AID=744&Seite=7&Start=14134, zuletzt besucht am 1. September 2011
  26. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  27. Ibid
  28. HK Gruber: "Friedrich Cerha: Vollblut mit Maske". Aus dem Programmheft  zur UA "Netzwerk" Theater an der Wien, 1982
  29. wie Fußnote 27
  30. wie Fußnote 28
  31. Erwin Klambauer in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Japan, Februar 2007
  32. HK Gruber: "Friedrich Cerha: Vollblut mit Maske". Aus dem Programmheft  zur UA "Netzwerk" Theater an der Wien, 1982
  33. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  34. Gertraud Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  35. wie Fußnote 33
  36. Gerhard Windbacher in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  37. wie Fußnote 33
  38. Erwin Klambauer in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Japan, Februar 2007
  39. Adolf Hennig in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzzuschlag, 21. Oktober 2006
  40. Josef Pitzek in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzuschlag, 21. Oktober 2006
  41. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  42. wie Fußnote 38
  43. wie Fußnote 41
  44. wie Fußnote 39
  45. Gerhard Windbacher in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzzuschlag, 21. Oktober 2006
  46. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  47. Gertraud Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  48. wie Fußnote 46
  49. Erwin Klambauer in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Japan, Februar 2007
  50. HK Gruber in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Mürzzuschlag, 21. Oktober 2006
  51. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  52. Gertraud Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006
  53. wie Fußnote 51
  54. wie Fußnote 52
  55. wie Fußnote 51
  56. wie Fußnote 52
  57. Friedrich Cerha in einem Interview anlässlich der Filmdokumentation: "Friedrich Cerha – der Dirigent", Maria Langegg, 14. August 2006