Vermittlung Magazin

Das Kompositions-studium bei Friedrich Cerha

STATEMENT
Dirk d'Ase

geboren im flandrischen Antwerpen, hat sich in den letzten Jahren international mit Opern- und Orchester-kompositionen etabliert. Zu seinen wichtigsten Werken zählen sechs Opern, vier Solokonzerte, eine Symphonie, Orchesterwerke sowie Orchesterlieder und Kammermusik.

http://www.dirkdase.com/

Manche Lebensabschnitte, vor allem in jungen, aufbauenden Jahren sind so prägend, dass sie, ob wir es uns nun wünschen oder nicht, ob wir es zugeben wollen oder nicht, ertragen oder nicht, verdrängen oder nicht, ein Leben lang Einfluss auf unsere Befindlichkeit, Entwicklung und Entscheidungen haben.

 

Die Uraufführung des von Cerha vollendeten dritten Akts von Alban Bergs "Lulu" lag gerade ein Jahr zurück, als ich beschloss, mich für die Zulassungsprüfung an der damaligen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien zu bewerben. Meine Entscheidung, bei Friedrich Cerha zu studieren, begründete sich darin, dass ich als Adoleszent jemanden suchte, der sich verstärkt mit zukunftsgerichteten Strukturen und Formgebung in der Komposition aus einander setzte. Die nicht zu bändigende Sehnsucht, die Welt zu erkunden und zu bereisen, gab mir den zusätzlichen Antrieb, mich von meiner zerrütteten Familie zu trennen, um in Wien nochmals ganz von vorne an zu fangen: fremdes soziales Umfeld, neue Sprache, neues Leben.

 

Als junger, unerfahrener Kompositionsstudent mit Friedrich Cerha

zu kommunizieren, glich der Erstbesteigung eines schwer zugänglichen Berges. Jede Frage wurde umgehend mit einer Gegenfrage beantwortet, Unsicherheit und Unwissenheit wurde mit einem strengen, fragenden Blick quittiert. Das Studium bestand hauptsächlich darin, alles selber zu suchen und zu entdecken. Wissen wurde nicht in Form einer geduldig aufgebauten Erklärung geschenkt, sondern durch Stillschweigen und Hinterfragung vermittelt. Wer diese Schule bestand, konnte sich – in der schon zur Gewohnheit gewordenen Erwartung, gefinkelte Fragen beantworten und komplexe Strukturen entschlüsseln zu müssen – wie ein kompositorischer "Bergsteiger" gewappnet für alle Eventualitäten an den Beruf heranwagen.

 

Als passionierter Bergsteiger (dem hochalpinen Bereich gilt meine Leidenschaft) befindet man sich manchmal in Situationen denen man sich nicht entgegen stellen soll – wie, zu rutschige Gletscher oder Felsen, drohende Gewitter oder konditionelle Schwächen – weil sie eine offensichtliche physische, manchmal aber auch mentale Gefahr darstellen. Man macht kehrt, sucht Schutz oder rastet.

 

Schwierig wird es, wenn man Situationen nicht mehr einschätzen kann und einem der Weg abgeschnitten wird, die Beine versagen oder sich die Gewitterfront hinter dem Grat verschanzt hat. In diesem Zeitflug, wo wir alles darum geben würden, Raum und Wahrnehmung zurück zu setzen, besinnen wir uns, wenn nicht gerade von Panik oder übersteigerten Wünschen gelähmt, auf unsere Grundbedürfnisse und Vernunft.

 

Seitdem ich nun selber in der Position bin, jungen Menschen ein Verständnis für Klangfarben, Strukturen und vielfältige Inhalte zur Umsetzung ihrer persönlichen musikalischen Vorstellungen zu vermitteln, bekomme ich mehr Einblicke in die Welt des Kompositionsstudiums und verstehe mehr als je zuvor, in welche ungewisse, eigenbrötlerische Welt der zeitgenössischen Musik  sich junge Menschen hineinwagen wollen. Eine Welt wo Erfolg – wenn überhaupt – nur durch harte Arbeit, Fingerspitzengefühl, Fatalismus und Konsequenz zu erreichen ist und wo Hinterfragung, finanzielles Kalkül (wie ernähre ich mich in den kommenden Monaten?) und Besinnung auf das Wesentliche an der Tagesordnung stehen.

 

Friedrich Cerha hat mich durch seine Unerbittlichkeit dazu getrieben selbständig nach Antworten zu suchen und viele Fragen haben sich auf der langen, intensiven Suche tatsächlich klären können. Wenngleich die Spanne eines Menschenlebens gerade ausreicht, an der Oberfläche der wirklich entscheidenden Fragen zu kratzen, so ist es doch hilfreich, wenn Persönlichkeiten von ganz speziellem Charakter keine andere Wahl offen lassen, als sich immer wieder selbst auf die Suche zu machen. In dem Zusammenhang entstand auch meine philosophische These, dass am Ende einer Gedankenkette der Anfang unserer Existenz steht, das nackte Leben entpuppt sich als einzige Vollkommenheit.