Vermittlung Magazin

Begegnungen mit Friedrich Cerhas Baal

STATEMENT
Leo Krischke

Studium Theater- und Musikwissenschaft sowie Musiktheaterregie. Seit 1999 künstl. Leiter des ensemble adhoc Wien. 

www.leokrischke.com

Die erste Begegnung mit Friedrich Cerhas Oper Baal war für mich einer der stärksten musikalischen Eindrücke meiner Jugend. Im Alter von 11 Jahren (oder waren es 12?) bekam ich die Schallplattenaufnahme der Uraufführung geschenkt und war zutiefst beeindruckt. Nicht alles verstehend oder doch wohl eher gar nichts verstehend von den Figuren und ihren inneren und äußeren Konflikten, war es die Musik, die mich unmittelbar in ihren Bann schlug, die mich berührte und faszinierte. Jahre später erlebte ich dieses Werk auf der Bühne und die Musik berührte mich erneut ungemein. Ihre starke emotionale Kraft verband sich nun aber mit einer Ahnung davon, was die Figuren, und hierbei natürlich vor allem die zentrale Figur des Baal, in ihrem Inneren bewegt. Und dennoch war es auch jetzt wieder etwas Fremdes, letztlich nicht Erklärbares, das die Figuren umgab. Als ich 2011 diese Oper selbst für die Neue Oper Wien inszenieren konnte, war dieses Unerklärbare und Nichtbenennbare erneut da, die Musik Cerhas aber hatte dieselbe unmittelbare Faszination wie bei der ersten Begegnung. Nun aber begann ich auch die Sehnsucht des Baal nach einer anderen, besseren Form der Existenz, seine unbändige Lust auf Leben besser zu verstehen und mit ihr die Grundfrage des Werkes, die Cerha aufwirft: Wie kann das Individuum ohne Verlust der eigenen Identität, der eigenen Wünsche und Hoffnungen in einer Gesellschaft existieren, in einer Gesellschaft, die ihre eigenen Regeln und Gesetze entwirft und behauptet? Wieweit muss und kann der Einzelne sich gesellschaftlichen Normen anpassen und sie erfüllen, ohne sich selbst aufzugeben und zu verraten… Baal geht den kompromisslosen, radikalen Weg und stellt sich mit all seinem Denken und seinem Sein gegen die Gesellschaft, nicht aus Kalkül, sondern aus einer inneren Notwendigkeit. Ohne Rücksichtnahme gegen andere, aber auch ohne Rücksichtnahme gegen sich selbst. Immer aber bleibt er ehrlich und sich selbst treu. Cerhas Musik bringt uns diesen Menschen Baal in all seinen Facetten nahe, stärker als Worte allein es könnten, in all seinen Schrecklichkeiten, aber auch in all seiner Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. Und in all seiner Rätselhaftigkeit. Dieses Meisterwerk Friedrich Cerhas, das mich schon so lange begleitet hat, zu inszenieren, war ein großes, ein überaus beglückendes Erlebnis für mich.