Vermittlung Magazin

Haydn zum Lachen

Manuela Kerer im Gespräch 

INTERVIEW
Sabine Töfferl

studierte Kultur- und Sozialanthropologie,
Internat. Entwicklung sowie Musik-wissenschaft, momentan PhD
Musikwissenschaft; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archiv der Zeitgenossen.

Manuela Kerer, geboren 1980 in Brixen/Südtirol, hat Komposition, IGP Violine, Rechtswissenschaften und Psychologie in Tirol studiert. In den beiden letzten Fächern arbeitet sie an ihren Dissertationen, die sich ebenfalls mit Musik beschäftigen: Urheberrecht und musikalisches Gedächtnis bei leichter Demenzerkrankung sind die Themen. Sie hat Stücke für das Ensemble "die reihe", die Bayerische Kammerphilharmonie, die Camerata Europaea und Künstler wie Julius Berger und Bojidara Kouzmanova geschrieben, ihre Werke wurden bei Festivals wie Klangspuren Schwaz, Asiagofestival, transart, International Festival for Contemporary Music Moscow, Wien Modern, A*DEvantgarde München, Tiroler Festspiele Erl, im Konzerthaus Berlin und der Neuen Oper Frankfurt, in New York und am Titicaca-See aufgeführt. 2009 war sie eines von europaweit 100 "young creative talents", auserwählt vom Ausschuss der Europaregionen, außerdem hat sie bereits mehrere Stipendien und Preise erhalten, darunter etwa das Österreichische Staatsstipendium für Komposition (2008 und 2011) und den Theodor-Körner-Preis (2011). Sabine Töfferl hat mit der Komponistin ein Interview über Musik und die Welt geführt.

 

terz: In deinen Interviews steht oft, dass du sagst, "Wenn ich einmal groß bin". Das hat mich amüsiert, weil ich diese Phrase selbst sehr oft verwende und merke, dass die Leute darüber sehr lachen…

 

Kerer: Mir sagen ganz viele Leute, dass ich das nicht mehr sagen soll, weil sie das unprofessionell finden, aber mir ist das vollkommen egal – ich empfinde das einfach so.

 

terz: Was mich auch fasziniert hat, ist dein Zeitmanagement, auf das viele Leute immer zurückkommen, weil du so viele Dinge gleichzeitig machst. Hast du vor, dich dann einmal auf ein Ding zu spezialisieren, oder wäre dir das Komponieren allein ökonomisch zu unsicher?

 

Kerer: Ich weiß, dass das Komponieren mein Ding ist. Es ist halt so, dass sich im Leben oft von selbst die Prioritäten herauskristallisieren. Es hat sich so entwickelt, dass ich eben momentan fast nur komponiere. Ich möchte aber jetzt nicht sagen, dass ich das in 20 Jahren auch noch mache – das kann ich nicht. Ich hätte mir früher nicht gedacht, Komponistin sein zu können, auch aus verschiedenen ökonomischen Überlegungen und wegen der Zukunftschancen – wobei mir das gar nicht so wichtig ist, sonst würde ich ja in einer Kanzlei sitzen oder so. Die Neurowissenschaften und die Juristerei drehen sich bei mir auch immer um die Musik – das zeigt eigentlich, dass mir die Musik sehr wichtig ist.

 

terz: Wie steht’s um deine beiden Dissertationen?

 

Kerer: Sie sind noch in Arbeit. Das ist für mich sehr ungewöhnlich – normalerweise möchte ich Dinge ziemlich schnell abschließen. Die Dissertationen haben sich jetzt aber sehr lange hingezogen, weil ich in meinen Augen sehr tolle Angebote für Projekte bekommen und hier mehr Zeit investiert habe. Darunter haben die Dissertationen natürlich gelitten, aber ich sehe sie eher als meine Hobbies. Nächstes Jahr werde ich zwei Mal drei Monate in New York sein, und davor möchte ich sie fertig stellen. Es sollte nicht mehr so viel Arbeit in Anspruch nehmen, die Bürokratie ist eigentlich schon erledigt – es geht also vor allem um den letzten Schliff.

 

terz: Wie teilst du dir die Arbeit an den beiden Dissertationen ein?

 

Kerer: Normalerweise funktioniert es am besten, wenn ich alles gleichzeitig mache. Jetzt komponiere ich aber sehr viel. Es ist immer wieder blöd, wenn ich das dann drei Wochen liegen habe – wenn du wieder beginnst, musst du fast bei Null starten. Ich mache ab und zu viel auf den letzten Drücker, dann muss ich da eben sehr viel reinbuttern – das ist hier leider der Fall.

 

terz: Was hast du in New York vor?

 

Kerer: Ich habe im Oktober eine Uraufführung im Austrian Cultural Forum New York. Ich war schon öfters in New York und möchte einfach eine gewisse Zeit dort verbringen. Das hat musikalische Gründe, andererseits ist es aber einfach mein Wunsch, mich dort inspirieren zu lassen und nach dem Ende meiner Studien dorthin zu reisen.

 

terz: Hat der geplante einjährige Aufenthalt am IRCAM in Paris stattgefunden?

 

Kerer: Ich war zeitweise dort, aber nicht so lange wie ursprünglich geplant. Ich bin hingefahren, aber es hat zu dem Zeitpunkt dann doch nicht so gut gepasst, ein Jahr zu bleiben – ich hatte das Gefühl, dass es mir nicht so viel bringen würde wie andere Sachen, die ich dann stattdessen gemacht habe.

 

terz: Möchtest du doch noch einmal für längere Zeit hingehen, oder hast du das Vorhaben verworfen?

 

Kerer: Ich wollte auch hin, um mein Französisch zu verbessern, habe es aber vor der Abreise nicht geschafft, etwas in die Sprache zu investieren. Ich glaube, dass ich immer einmal wieder für kurze Zeit nach Paris gehen werde, aber kein ganzes Jahr mehr.

 

terz: Du sagst immer wieder, dass du das Publikum gerne einbindest. Woher kommt diese Idee, wo doch sonst Neue Musik von außen sehr oft als „elitär“ und „abgehoben“ wahrgenommen wird?

 

Kerer: Ich mag es nicht, wenn sich Musiker im Elfenbeinturm einsperren, bin auch kein Fan von Festivals, die sich ausschließlich mit Neuer Musik beschäftigen. Ich finde sie zwar wahnsinnig super und freue mich, wenn meine Werke dort aufgeführt werden, sehe aber auch das Problem, dass dadurch dieser Elfenbeinturm noch verstärkt wird. Ich habe eigentlich schon immer das Publikum in meine Kompositionen eingebunden. Immer, wenn ich etwas für meine Freunde oder kleine Feiern gemacht habe, habe ich die Anwesenden mitmachen lassen. Was ich aber nicht mag, ist, wenn die Leute einen Part bekommen und das Stück in die Hose geht, falls sie den nicht erfüllen. Ich lege die Beteiligung des Publikums eher als einen Überraschungseffekt an.

 

terz: Du machst ja auch viel Vermittlungsarbeit mit Kindern …

 

Kerer: Ja, im letzten Jahr aus Zeitgründen weniger, aber ich mache das sehr gerne – Kompositionsworkshops, Hörspaziergänge, Projekte mit Lehrlingen, wo wir in Betriebe gegangen sind und mit ihnen komponiert und ein Musiktheater aufgeführt haben. Ich bin jetzt auch im Verwaltungsrat des Sinfonieorchester Südtirol-Trient, und da sind wir jetzt auch mehr im Vermittlungsbereich tätig. Italien hinkt in dieser Hinsicht leider Österreich und Deutschland ein bisschen hinterher, aber wir wollen aufholen. Ich finde die Arbeit mit Kindern sehr wichtig.

 

terz: Ist es schwierig, die Verantwortlichen von der Bedeutung dieser Vermittlungsprojekte zu überzeugen?

 

Kerer: Nein, gar nicht. Was ich aber schon mache, ist auf die Notwendigkeit der Vermittlung von Neuer Musik hinzuweisen, dass auch dafür Budget bereit steht. Da wird es dann schwieriger, aber es leuchtet den meisten ein. Projekte mit Kindern sind so toll – was die alles hören, wo unsere „erwachsene“ Aufmerksamkeit schon längst anders gesteuert ist. Wenn man die Kinder da abholt, kann man ganz viel bewirken.

 

terz: Das „Vermittlungsproblem“ setzt ja vielleicht schon in der Schule an, wenn man sich zwischen Musik und bildnerischer Erziehung entscheiden muss…

 

Kerer: Ja, das ist ein Problem. Wie soll jemand Neue Musik hören wollen, wenn er nicht einmal weiß wer Strawinsky ist? Auch in der Kunst ist es ja wichtig – wenn man sich anschaut, was historisch passiert ist, versteht man auch die Gegenwart leichter. Es ist eigentlich ein Verbrechen, dass der Musikunterricht abgedreht wird. Auch Politiker sagen immer, dass er so wichtig ist, aber es passiert nichts. Mit der Kultur ist einfach am schnellsten gespart, weil man sie als nicht lebensnotwendig ansieht.

 

terz: Wann würdest du den Zeitpunkt ansetzen, als sich plötzlich Medien für dich interessiert haben, als du einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden bist?

 

Kerer: Es waren verschiedene Sachen – zum Beispiel habe ich 2005 im Tiroler Landestheater eine Personale gehabt, wozu ich durch pures Glück gekommen bin. Da waren sehr viele Leute, und ein Jahr später hatte ich dann das Angebot, das ganze Haus als Musikinstrument zu konzipieren. Das war eigentlich als Projekt ausgeschrieben, aber sie haben niemand Passenden gefunden. Der Projektverantwortliche war bei meinem Konzert und hat mich dann gleich in sein Büro eingeladen, um zu planen. Dann gab es noch einen Klassenabend in der Kompositionsklasse, wo ich ein Stück für Sopran, Cello und Toy-Piano aufgeführt habe – Letzteres habe ich selbst gespielt. Da waren wahnsinnig viele Leute, und das Stück ist wahnsinnig gut angekommen. Es war auch ein bisschen witzig und die Leute haben es offenbar gemocht. Ich glaube zwar nicht, dass das Publikum über "gut" und "schlecht" entscheidet, aber es bestärkt einfach, wenn die Leute Interesse zeigen – vor allem, weil mein Professor von dem Stück nicht so überzeugt war und daran gezweifelt hat, ob es schon aufgeführt werden sollte.

 

terz: Du machst ja so viele Dinge für "unmögliche Instrumente", also habe ich mich gefragt, wie das dann in deinem Studium war – hat dir jemals jemand gesagt, dass du etwas nicht machen darfst?

 

Kerer: Dass ich etwas nicht darf, hat mir niemand gesagt, aber es war manchmal schwierig. Man muss im Studium auch ein Streichquartett schreiben, das finde ich super und mag es auch, es ist ja eine der Königsdisziplinen und ich habe mich gefreut, dass ich das machen kann. Beim Klassenabend hat dann jeder ein Stück gebracht, ich wollte aber dann nicht nur das Streichquartett aufführen sondern auch noch zwei andere Stücke. Mein Hauptfachlehrer war damals eher skeptisch, aber ich denke dass man sich manchmal einfach durchsetzen muss, weil man dann auch gezwungen ist, das zu argumentieren. Ich wollte nie reine Effekte haben – zum Beispiel bei IMPOS für elektrische Zahnbürsten geht es mir nicht um ein Kasperltheater, sondern darum, dass ich den Klang der Obertöne genial finde. Trotzdem hat es aber auch immer einen humoristischen Nebeneffekt – ich denke, dass Humor die Leute der Neuen Musik näher bringt.

 

terz: Humor ist dir sehr wichtig, ich habe in einigen deiner Interviews gelesen, dass du es magst, wenn Leute während deiner Stücke lachen …

 

Kerer: Ja, ich war auch schon in Sinfoniekonzerten, wo der Herr neben mir laut geschnarcht hat, weil er eingeschlafen ist. Das habe ich sehr lustig gefunden – ich hätte da nicht schlafen können, würde mich aber auch nie darüber aufregen. Die Leute sind heutzutage leider oft ein bisschen intolerant. Warum sollte man bei einer Haydn-Sinfonie zum Beispiel nicht lachen? Die sind ja zum Teil ziemlich witzig!

 

terz: Ist es dir schon einmal passiert, dass Musiker deine Werke nicht spielen wollten, sie als "Blödsinn" bezeichnet haben?

 

Kerer: Ja, schon – ich mache ja auch sehr viel für Laien, und da mache ich die Erfahrung, dass manche sehr begeistert sind, andere aber nichts damit anfangen können. Das finde ich auch ok, die können sich ruhig entscheiden zu gehen. Da hat es zum Beispiel ein Chorprojekt gegeben, wo dann einige gesagt haben, sie möchten nicht mitsingen. Profimusiker probieren es mit anderen Mitteln: Wenn es interessante Sachen gibt, die sie nicht machen möchten, sagen sie, das wäre mit ihrem Instrument unmöglich. Ich probiere aber vorher alles aus und zeige es ihnen dann einfach. Es hat da schon nette Situationen gegeben … ab und zu fühle ich mich auch ein bisschen in einer Prüfungssituation, aber wenn man die übersteht, kann man dann normalerweise sehr viel haben. Ich glaube aber, dass man nicht alles mögen muss. Allerdings denke ich, dass man als Musiker ohne Neue Musik heutzutage nur schwer durchkommt, und dass man sich auch etwas Schönes vorenthält, wenn man sich mit ihr nicht beschäftigen will.

 

terz: Ist es manchmal ein Problem, weil du noch "so jung" bist, wirst du deshalb weniger akzeptiert?

 

Kerer: Wenn es ein Problem ist, dann eher mit Repertoireorchestern und solchen, die noch nie Kontakt mit Neuer Musik gehabt haben. Junge Ensembles stellen da aber gar kein Problem dar. Ich bin grundsätzlich sehr unkompliziert und mache mir aus grantigen Gesichtern nicht viel – ich habe ein gutes Selbstbewusstsein und überstehe solche Dinge ganz gut. Wenn es einen blöden Kommentar aus dem Orchester gibt, rede ich dann schon dagegen – man muss ja nicht immer lustig und nett sein, sondern manchmal auch professionell.

 

terz: Leider findet man im Internet sehr wenige Informationen über dich…

 

Kerer: …ja, eigentlich bin ich extrem doof – ich bin extrem schlecht organisiert, was Daten anbelangt. So eine Website wäre eigentlich wichtig und ist nicht so viel Arbeit, außerdem macht mein Bruder Websites und hat mir schon fünfmal hintereinander eine zu Weihnachten geschenkt, aber es wird nichts. Andererseits ist es auch lustig – die Leute, die mich finden wollen, finden mich doch. Das einzig Blöde ist, dass einiges an Blödsinn kursiert. Das könnte ich durch eine Info-Website wohl vermeiden. Also wäre es eigentlich wichtig, auch für die Medien und Festivals – oft lese ich dann ganz seltsame Infos über mich, dass ich zum Beispiel bei jemandem studiere, was aber schon vor fünf Jahren war.

 

terz: Bist du also auch nicht auf facebook?

 

Kerer: Nein, ich bin nicht auf facebook. Wenn dann müsste man es so machen: alle Freundschaftsanfragen annehmen und nicht unterscheiden, wie gut man jemanden kennt. Ich rufe meine Freunde lieber an. Ich glaube, dass man facebook super nutzen könnte, aber ich habe das Gefühl dass ich ohnehin sehr viel Zeit am Computer verbringe – E-mails schreiben, skypen, Noten eintippen, … –, das möchte ich nicht noch mehr werden lassen.

 

terz: Du scheinst sehr viel Energie zu haben – wenn du einen ganzen Tag sitzt und arbeitest, hast du dann auch einmal das Bedürfnis, hinaus zu gehen? Laufen, Radfahren, Sport allgemein?

 

Kerer: Ich habe nicht den Zwang, hinauszugehen – wenn ich extremen Stress habe, kann ich auch einen Tag drinnen verbringen. Laufen gehe ich weniger, aber Wandern und Mountainbiken mag ich gerne. Ich finde es schade, wenn ich einen schönen Tag in der Wohnung verbringe, wenn die Sonne scheint und ich nur im Zimmer sitze.

 

terz: Was sind deine Zukunftspläne, woran arbeitest du gerade?

 

Kerer: Ich schreibe gerade an einem Streichquartett für das Ensemble Lux, das im Dezember uraufgeführt wird. Heute oder morgen sollte ich das Streichquartett für das Hugo Wolf Quartett, das sie in New York spielen und das auch im Wiener Konzerthaus zu hören sein wird, abschicken. Nächstes Jahr mache ich mit dem Berliner Ensemble Kaleidoskop ein Musiktheater.

 

terz: Dann wünsche ich dir alles Gute für alle deine Vorhaben, und vielen Dank für das Gespräch!