Vermittlung Magazin

Die Mitte ist ein guter Anfang

Manuela Kerer – Produktionsbedingungen einer Komponistinnen-Karriere

ESSAY
Irene Suchy

lebt und arbeitet rund um Musik, angetrieben von der Wertschätzung für einen schönen Ton.
Als Präsentatorin und Dramaturgin in Ö1 und im Radiokulturhaus, als Austellungsmacherin, als Autorin musikwissenschaftlicher, historischer und literarischer Werke.

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Komponistinnen heute haben es ein bisschen leichter als vor 100 Jahren. Wenn es Preise zu vergeben gibt, wird darauf geachtet, dass wenigstens einer der beiden Förderpreise an eine Frau vergeben wird; in den Konzerten kleinerer Ensembles ist schon oft, immer öfter, fast möchte man sagen fast immer ein Werk einer Komponistin auf dem Programm; unter den Studierenden der Komposition sind Frauen wie Männer, an einem der drei großen Opernhäuser Wiens erlebte in der letzten Saison die Oper einer Komponistin, Lera Auerbach, sowie in der Dependance der Wiener Kammeroper, ein Teil im Rahmen eines Drei-Akters, der Komponistin Johanna Doderer die Uraufführung. Weit entfernt von einer Balanciertheit ist die Gender-Balance des zeitgenössischen Musiklebens, auch wenn Maßnahmen wie das Frauenmusikhandbuch, herausgegeben vom Außen- und Bildungsministerium, die Bemühungen unterstreichen, ist die Struktur, in denen Komponistinnen arbeiten und leben eine schwierige: die Intendanzen der Konzert- und Opernhäuser sowie der Ensembles für neue Musik sind mit wenigen Ausnahmen von Männern besetzt, es gibt weder eine Quotenregelung noch eine Forderung danach. Ausgehend von der Tatsache, dass weibliche Musikschaffende mit ihrem Talent und Können in Strukturen hineingestellt werden und diese Strukturen bewältigen wollen, ist die Biographie der Komponistin Manuela Kerer nicht Beweis, aber doch das Aufzeigen einer Möglichkeit.

Manuela Kerers Erfolgsstrategien zeichnen sich ab: Sie weiß vorhandene Institutionen für sich zu nützen. Manuela Kerer ist Komponistin und Forscherin, verbindet Wissenschaft und Kunst, was eine Tradition der Kunstgeschichte, in ihrem Falle aber mit akademischen Weihen ausgezeichnet, ist. Geboren 1980 in Brixen in Südtirol, beendete sie 2007 das Kompositionsstudium am Tiroler Landeskonservatorium, 2004 bereits ein IGP-Studium Violine. Die Fähigkeit des Violinspiels eröffnet ihr das Mitspielen in ihren Ensembles, darüber hinaus das praktische Wissen beim Komponieren für Violine. 
plas, eine Reise durch das Gehirn als Konzert für Violine und Ensemble, ist der Solistin Bojidara Kouzmanova gewidmet. Das Ensemble Reconsil, das sie im Rahmen seiner Schönberg-Center-Konzerte begleitete, ist seither ein Fan Kerers. Am 4. Oktober wurde ein neues Werk aufgeführt, Manuela Kerers gelöste tide – für Oboe, Violine und Ensemble. Kerer hat dem Studium der Komposition, das weniger angewandte und anwendbare Möglichkeiten im Berufsleben eröffnet, ein Lehrdiplom gegenüber gestellt, um sich einen breiteren Zugang in die Musikszene und in ein Erwerbsleben mit Musik zu verschaffen. Daneben hat sie das Studium der Rechtswissenschaften und ein Psychologiestudium jeweils mit dem Master an der Universität Innsbruck absolviert, die Dissertationen in beiden Fächern stehen vor der Einreichung. Dank eines Stipendiums konnte sie an ihrem PhD über die Musikalität Demenz-Kranker arbeiten.

Sie hat Aufmerksamkeit erregt und Anerkennung errungen, diese Sprosse der Leiter erklommen. Sie ist ausgezeichnet und anerkannt worden: 2007 war sie Stipendiatin der Akademie "avantgarde tirol", im selben Jahr erhielt sie das "Höchstbegabtenstipendium" des Rotary Club Innsbruck, 2008 das österreichische Staatsstipendium für Komposition, 2009 den Kompositionspreis der Stadt Innsbruck 2009, im selben Jahr war sie Stipendiatin der Richard Wagner Stiftung Innsbruck/Bozen 2009. Sie wurde zugelassen und eingeladen zu Kompositionsstudien bei Alessandro Solbiati in Mailand, zu Meisterkursen und Workshops, wie den historisch bedeutsamen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt 2008. Eine Jury des BMUKK förderte ihre Arbeit durch das Staatsstipendium für Komponistinnen, sie wurde erkannt als eines von 100 creative talents in Europe 2009.

Sie wurde mit dem "Walther von der Vogelweide-Preis" ausgezeichnet, der Preis des Festivals "A•Devantgarde" in München 2009 war ein Kurzopernauftrag, sie hatte bereits eine Gastprofessur in Minnesota inne, die Wissenschaftswelt ist auf sie aufmerksam geworden. Der Ausgangspunkt sind hohe Fähigkeiten. Mit den auf den Universitäten erworbenen Abschlüssen zeigt sie außerdem die Fähigkeit, in den vorhandenen Wissenschaftsinstitutionen zu reüssieren. Sie kann Gegebenheiten nützen und daraus Gewinn ziehen: Gewinn aus dem Studium bei Martin Lichtfuß und aus dem kurzzeitigen Unterricht bei Ferienkursen und Meisterkursen. Kompositionsunterricht ist nie mit Instrumentalunterricht vergleichbar, man kann nicht genau sagen, was falsch und richtig ist. Bei Martin Lichtfuß hat sie gelernt, historische Kompositionstechniken nachzuvollziehen, das Handwerk zu erlernen, sie weiß zu schätzen, dass ihr kein Stil aufgedrängt wurde, Maschen verweigert sie, unmanierierte, regionale und konkrete Bezüge in ihrer Musik sollen hörbar bleiben, die Musik soll notwendig sein, einen Anlass haben. Sie ist auf der Suche nach ihrem Klang, ihrer Farbe, weiß sich in der historischen Tradition verankert, ringt um eine Form, die Sinn hat in der Zeit.

Gefragt nach ihrem Wunschlehrer nennt sie György Ligeti. Komposition zu studieren ist ein Prozess, ein work in progress. Sie liebt Kinder-Kompositionsworkshops, Kinder sind für sie auch ihre Lehrenden. Kinder sind unvoreingenommen, alles klingt in ihren Ohren, selbst eine Feder. Kinder erinnern sie daran, den Leichtsinn nicht zu verlieren. Den bewahrt sie sich, die Unzugehörige, die ihre Ungehörigkeiten so sanft charmant präsentiert, dass ihre Anliegen verstanden werden. Noch lässt sie sich von Organisationsarbeit nicht einfangen, mehr als ein Eintages-Festival der progressiven Volksmusik hat sie nicht geleitet, die Neue Musik Szene besucht sie nicht mehr. Kunst ist Auswahl, soll Strawinsky gesagt haben. Jede Einschränkung ist eine Befreiung von der nur augenscheinlichen Freiheit der Verfügbarkeit. Eine der Einschränkungen in freigewählten Regeln ist das Können der Ausführenden. Manuela Kerer liebt auch deshalb das Komponieren für Kinder. Das Fangen der Grashüpfer ist auch eine Kunst.

Noch ist der Ausschluss der Frauen in den Worten eingegraben, es heißt Meisterkurse und Komponisten-Handbuch. Manuela Kerer ist eine Komponistin, die etwas mehr darf als ihre Ahninnen des 19. Jahrhunderts, aber die Geschichte, die wellenförmig geht, hat auch schon gute und bessere Zeiten und Gegebenheiten für komponierende Frauen erlebt. Sie ist dankbar  für die Möglichkeiten, die ihr ihre Zeit bietet und nimmt in ihrem Werke Bezug auf die Geschichte des Komponierens der Frauen: Was Clara Schumann noch hören musste "eine Komponistin wird es nicht geben", ist für sie Ausgangspunkt des Komponierens. Es gibt den Beruf der Komponistin, es darf ihn geben. Die Geschichte ihrer Ahninnen ist ihr Thema. Luna chiarina, komponiert 2007, handelt von Clara Schumann, trägt den Kosenamen, den Robert für Clara erfand, im Titel. Alma- Fantasien, ein Liederzyklus der auf Alma Mahler Bezug nimmt, auf ihr fragmentarisches Werk, ist gerade jetzt, 2012, uraufgeführt worden.  Der Vergleich mit der Tradition macht sie glücklich, wie gut es ihr geht. Ein Nähkästchen-Klavier im Museum erinnert sie daran, dass sie als Komponistin die Enge des Haushalts überschreiten darf.

Sie komponiert für Wasserleitungs-Eröffnungen und für die Klangspuren Schwaz, für hochbegabte Kinder und ein Salon-Publikum. Ihre Komposition spiegelt die Gesellschaft wider, warum sollte man sich Musik zu einem aktuellen Ereignis aus der Vergangenheit holen? Das Bild des Purzelbaums erscheint vor ihrem Auge: er mag nach vorn oder nach rückwärts rollen, auch aus der Rolle rückwärts kann man in der Gegenwart landen. Sie kommt aus der Welt, sie dankt den Ensembles, die Welten öffnen und eröffnet ihnen ihre Welten. Die Beobachtungen ihrer Welten sind Ausgangspunkt ihrer Kompositionen, das Übersehene ist wert ihrer Beobachtung. Ihre Kompositionen sollen sich einmischen, Erlebnis aus Spannung bieten, nicht an-, aber aufwecken. Die Prüfungskommission, die mitsingen soll, ist kurz erstaunt, dann erfreut von der Abwechslung. 
Zu ihrer kommissionellen Klavierprüfung hat sie ein Stück für Prüfling und Kommission geschrieben, das die anwesenden Lehrer und Lehrerinnen zum Mitspielen verpflichtete – und das sonst übliche Zeitungslesen unmöglich machte. Manuela Kerer hat den italienischen Senat besucht und war von den Zeitung lesenden Parlamentarierinnen irritiert, was in die Opernkomposition tickende polli, einfloss.
 Sie nimmt die Zeitung weg und gibt dafür ihre Musik. Sie gibt einen ersten Akt und lässt das Publikum im zweiten Akt beim Buffet stehen. Sie genießt das Ausbrechen, das Spielen mit Vorahnungen und Erwartungen.

Sie kann aufhören. Jeder möchte gern einen Schluss haben, an den man sich gut erinnert, der Ausklang ist eine besondere Hürde. Das Aufhören eine besondere Kunst. Weil auch der Titel gut durchdacht sein muss, und die Launigkeit ihrer Titel lange Überlegung braucht, beginnt sie meist in der Mitte. Die Mitte ist ein guter Anfang.