Vermittlung Magazin

"Das Experiment ist mein Hauptberuf"

Die Komponistin Manuela Kerer

PORTRÄT
Teresa Vogl 

(*1983) studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Französisch und lebt in Wien. Sie gestaltet und moderiert Musiksendungen auf ORF-Radio Ö1.

"Nie habe ich mir überlegt, was ich wohl in fünf Jahren machen würde." Manuela Kerer, die Zielgerichtete und gleichzeitig Offene. Die Suchende, die Forschende, die Lauschende. "Der Gehörsinn ist für mich ein Wunder, denn die ganze Welt klingt!" Und vor allem: die Vielseitige. Berufsfelder gäbe es genug für die studierte Geigerin, Psychologin, Juristin und Komponistin. Daneben die Freunde und der Stand am Brixner Weihnachtsmarkt, wo sie jedes Adventwochenende gemeinsam mit den Geschwistern dem Vater beim Verkauf hilft: "Am 24.12. gehen wir zu Mittag turnusmäßig zum Würstelstand." So unkompliziert und entspannt scheint sie mit vielen Dingen des Lebens umzugehen, denn, trotz Leistungssport Eiskunstlauf während der Schulzeit, ist ihr die Jagd nach Trophäen kein Anliegen: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das Kompositionsstudium abschließen würde", sagt Kerer. "Ich glaube auch nicht, dass man nur für einen Abschluss oder Titel studieren sollte. Aber dann hat es mich bis zum Schluss interessiert und ich hab es fertig gemacht."

Die Neugierde, das Interesse an Unbekanntem, ist die Triebfeder hinter Kerers schier endloser Energie. Dazu kommt ein gewisser missionarischer Drang, Neue Musik "unter die Leute zu bringen", wie sie sagt. "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Je öfter er ungewohnte Dinge hört, umso besser ist das. Deshalb hätte ich auch keine Bedenken, ein Stück von mir an die Werbung zu verkaufen."

Mit den musikalischen Gewohnheiten des Menschen und ihren Auswirkungen auf die Hirnstrukturen setzt sie sich derzeit in einer ihrer beiden Dissertationen mit dem Titel Das musikalische Gedächtnis bei Patienten mit leichter Demenzerkrankung an der Psychiatrie Innsbruck auseinander. "Im Bereich der Neuropsychologie und der Musik gibt es noch relativ wenig Material, weil es sehr schwer zu erforschen ist", erklärt Manuela Kerer. "Ich würde mich deshalb gerne näher mit den Gehirnstrukturen von Menschen befassen, die sich ausgiebig mit neuer Musik beschäftigen, und solchen, die damit nichts zu tun haben, und dann die Unterschiede erforschen."

Ihr anderer Forschungsschwerpunkt betrifft die eigene (musikalische) Karriere: Dissertation Nummer zwei entsteht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Innsbruck zum Thema "Die Entwicklung der Rechte der KomponistInnen in Österreich".

 

"Komponieren kann man überall dort, wo man sich wohlfühlt"

 

Eine Wohnung in Innsbruck, das Elternhaus in Brixen und viele Auftragsarbeiten aus Wien: Komponieren in der Peripherie ist ein Konzept, das für das 1980 geborene quirlige Multitalent seit einigen Jahren aufgeht. 2006 kamen die ersten Aufträge, damals noch parallel zum Anwaltspraktikum. Im Jahr darauf schloss Manuela Kerer ihr Kompositionsstudium bei Martin Lichtfuss am Tiroler Landeskonservatorium ab, mittlerweile lebt sie von ihrer Musik. Die Liste der Preise und Stipendien ist lang, obwohl sie eine aktive Auftragsanbahnung eher ablehnt: "Es zieht sich durch mein Leben, dass ich nicht so gerne an Leute herantrete", sagt die Südtirolerin. Es habe noch jeder, der sie gesucht habe, gefunden – trotz fehlender Homepage. Das aktive Sprechen über ihre Musik ist Kerer wichtiger als ein durchkomponierter Internetauftritt.

Ist ihr Komponieren in irgendeiner Weise "verortet"? Eher findet sich die Inspiration dazwischen, im Zug, auf der Reise. Vielleicht träumt sie deshalb davon, die ganze Welt zu durchqueren. Wichtig ist aber auch das "Setting": "Wenn ich ein Stück über einen Berg oder einen Schrottplatz mache, dann gehe ich dort hin und schau mir das an."

Das Gehirn, das ist auch so ein Ort, mit dem sie sich intensiv auseinandersetzt – und es wäre nicht Manuela Kerer, würde sie ihr außermusikalisches Wissen nicht auch in ihre Werke einbringen. So geschehen in ihrem Violinkonzert aus dem Jahr 2008 und 2009. Es trägt den Namen plas und ist eine Reise durch das menschliche Gehirn, das sich für Kerer besonders durch seine Wandelbarkeit und seine Plastizität auszeichnet. Im Stück schwirren Klänge, Geräusche und Töne wie kleine Neuronen durch den Raum, stoßen zusammen, lernen, wandern, ruhen, rasten aus oder verharren.

 

Aber auch die flexible Positionierung der Musiker im Raum ist "typisch Kerer": Die sich bewegenden Ensembleformationen bilden die verschiedenen Gehirnlappen nach. Doch das ist für die Komponistin alles andere als bloße Effekthascherei: "Ich lasse die Musiker gerne den Ort wechseln, an dem sie spielen. Das beeindruckt die Leute immer. Aber ich mache auch ganz 'klassische' Stücke und verzichte auf dieses Kasperletheater, auch wenn solche Formen für mich natürlich immer einen Sinn haben."

 

 

Diese "klassischen" Stücke sind oft kammermusikalischer Natur und tragen Namen wie Dolce malinconia (Süße Melancholie) für ein Violoncello-Quartett oder Solitudine vaga (Schleierhafte Einsamkeit) für drei Zithern und Zuspielung von Reiseklängen.

 

 

Auch die traditionelle Verbindung von Musik und Poesie hat in Kerers Werken Platz: monddüne aus dem Jahr 2009 bezieht sich einerseits auf einen Ausspruch von Antoine de Saint-Exupéry und ist andererseits ein "Schlafphasen-Quartett", das von der Einschlafphase bis zum traumbeladenen REM-Schlaf "alle Stückln spielt", um es Wienerisch auszudrücken.

 

 

 

Ihre Herkunft ist ein Thema, musikalisch wie sprachlich: "Meine Mutter war Ladinerin, ich mag gerne ladinische Titel." Aber auch zimbrische, italienische und südtirolerische Ausdrücke können Namensgeber sein, wie das Oachale: ein Stück für Flöte, Sopransaxophon, Perkussion, Harfe, Violine und Kontrabass aus dem Jahr 2008 über das Eichkätzchen, uraufgeführt vom Ensemble "die reihe", und zusammen mit den anderen erwähnten Stücken auf der ORF CD "Edition Zeitton" mit dem Titel Manuela Kerer gebrannt. Nur das Stück für 10 elektrische Zahnbürsten harrt noch seiner Entdeckung durch die Dentalpflegeindustrie.

 

LINK:

 

Hörbeispiel monddüne, cedag Quartett, erschienen auf der Zeitton-CD Manuela Kerer, erhältlich hier