Vermittlung Magazin

"Wandlungen" – Anmerkungen zu den Orchesterwerken Gottfried von Einems

ESSAY
Johannes Leopold Mayer

Studium der Geschichte, Musikwissenschaft und Philosophie, sowie Orgel und Gesang in Wien, 1979 Promotion. Neben der beruflichen Arbeit im ORF auch immer wiederum wissenschaftliche Tätigkeit mit Publikationen aus dem Themenbereich der österreichischen Kulturgeschichte. 

Das Orchester mit seinen vielfachen Möglichkeiten, Klänge und unabhängige Stimmen zu gestalten, hat Gottfried von Einem schon zu Beginn seiner Komponistenlaufbahn beschäftigt. Das Capriccio op. 2 (UA 1943), oder das Concerto op. 4 (UA 1944) sind dafür schon höchst bemerkenswerte Zeugnisse.

Die Orchestermusik op. 9 und Serenade für doppeltes Streichorchester op. 10, komponiert Ende der 40er Jahre nach der so erfolgreichen Oper Dantons Tod zeigen eine Konsequenz aus dem frühen Umgang mit der großen Besetzung, aber auch Mut zu neuen Ansätzen. In der  „Serenade“ mit ihrem reinen, wenn auch gleichsam stereophon verdoppelten Streicherklang gehen Herbheit und Üppigkeit eine strukturbildende Gemeinschaft ein.

In dieser Verbindung offenbart sich aber an vielen zentralen Stellen auch von Einems ganz persönlicher Humor, ein feines Lächeln, das zeigt, wie wenig sich der Komponist darum kümmert, ob denn sein Stück irgendeiner Form von "Avantgarde" zuzuordnen sei. Es stört ihn nicht, wenn bei dieser Serenade etwa an Gleichbenanntes von Mozart gedacht wird.

Interessant und folgerichtig sind aber ab nun vielfach die sehr überlegten und informativen Titelgebungen: Meditationen - zwei Sätze für Orchester op. 18 (1954), oder Wandlungen - ein Satz für Orchester op. 21. Der Satz wurde immerhin 1956 im Mekka der neuesten Musik, im deutschen Donaueschingen unter Hans Rosbaud uraufgeführt. In Boston fand 1957 unter Charles Munch die Uraufführung der Symphonischen Szenen für Orchester op. 22, in Cleveland 1958 unter George Szell jene der Ballade für Orchester op. 23.

Einen Höhepunkt stellt die Philadelphia-Symphonie op. 28 dar, welche die Wiener Philharmoniker unter georg Solti im Goldenen Saal des Musikvereines in Wien aus der Taufe hoben.

Das op. 29 ist dann das Nachtstück, welches in Kassel von den Bamberger Symphonikern unter Joseph Keilberth seine erste Aufführung erlebte.

Aus den Namen dieser Werke ist der Wille des Komponisten nach Klarheit deutlich herauszulesen. Einer Klarheit, welcher es dem Publikum ermöglicht zumindest vorauszuahnen,  in welche Richtung es der "Componist" zu führen beabsichtigt; ob sie sich als Zuhörende nämlich auf einen Punkt zubewegen, welcher hinter nur einen Satz einen Punkt setzt, oder ob es um das Begreifen eines zyklisches Gefüges geht.

Wieder ist hier die Nonchalance und die Souverainität von Einems hervorzuheben, welcher es sich erlaubt, bei den Titelgebungen, mit welchen er seinem Publikum  ja Orientierungshilfen geben will, auf bekannte „Topoi“ aus der Romantik ebenso zurückzugreifen –
"Nachtstück", "Ballade" – wie auf den klassischen Begriff der "Symphonie".

Freilich – es wäre nicht Gottfried von Einem, würde er mit diesen Titeln – und damit auch mit den ihm Zuhörenden – nicht ausgelassenen Schabernack treiben und die bekannten Begriffe und Topoi, welche ihm als Gefäße dienen, auf seine Weise  an- und auszufüllen.

Und es wäre ebenso nicht Gottfried von Einem, wenn er diesen Schabernack nicht ständig in Begleitung von dessen Zwillingsschwester, der Ernsthaftigkeit auftreten ließe.

Einems Klangsinn ist ein durchaus sinnlicher – auch dort, wo es Herbheiten sind, welche die Sinne ansprechen. Und dies ist ja durchaus kein Widerspruch.

Ohne dies Sinnlichkeit zu verlieren,  beschreitet Einem aber dann vor allem inhaltlich in seinen opera 37 und 39 wieder ganz andere Wege.

Das Erstere ist Hexameron betitelt. Es kreist also um die Vorstellung des Sechstagewerkes, der Schöpfung von Himmel und Erde durch Gott.

Klarerweise hat sich von Einem dabei für eine zyklische Form entschieden.

Nach Inhalt und Gehalt ist dieses Stück geistesgeschichtlich allenthalben in die Nähe von Haydns Oratorium Die Schöpfung zu stellen. Und ein Vergleich der beiden Werke ist insofern

reizvoll, weil von Einem im Gegensatz zum Wiener Klassiker ohne Worte auskommt und daher auch bei den göttlichen Worten, wie etwa "es werde Licht" dem reinen Klang vertraut.

Mit Vertrautheit hat auch das op. 39 aus dem Jahre 1974 zu tun: nämlich mit jener zur großen österreichischen symphonischen Tradition. Bruckner-Dialog ist der vielsagende Titel dieses zum 150. Geburtstag des Meisters aus St. Florian verfassten Stückes.

Und von Einem tritt hier als Wissender tatsächlich in einen Dialog mit Anton Bruckner ein. Er selbst eröffnet ihn mit für ihn typischen Klängen und melodischen Bildungen, ehe er den Anderen mit Fragmenten aus dem unvollendet hinterlassenen Finale der IX. Symphonie zu Wort und ins Gespräch kommen lässt.

Dieses fragmentarische Finale von Bruckners symphonischem Schwanengesang hat Dirigenten und Musikwissenschafter immer wieder und bis heute beschäftigt und zu vielen letztlich doch mehr oder minder unbefriedigenden "Vollendungen" geführt. Von Einem "vollendet" Bruckners Partitur im Gegensatz dazu keineswegs, sondern führt sie auf seine Weise, Bruckners Material in all seiner Reichhaltigkeit ausnützend weiter.

Dabei lässt er die bruckner’sche Klangwelt, wie sie in der originalen Handschrift überliefert ist, ganz authentisch und deren Wirkung voll auskostend bestehen. Dies führt aber nicht dazu, dass er nun in den ihm zugewiesenen "Dialogteilen" brucknerisch instrumentiert. So ist dieser Dialog auch ein solcher der Klänge, welche sensibel aufeinander reagieren, ohne vordergründig aufeinander "abgestimmt" zu sein. Hier führt ein Verständiger Nachfahre ein verständiges Gespräch. Es wäre durchaus empfehlens- und überlegungswert, von Einems Werk gleichsam als auf ganz andere Bahnen weisenden Abschluss des bruckner’schen Torsos, nach dem vollendeten 3. Satz desselben zu spielen. Denn Bruckner hat in seiner letzten Symphonie diese anderen Bahnen beschritten. Und solche anderen Bahnen kreuzen sich „sub specie aeternitatis“ außerhalb der Epochen.

Wie sehr Gottfried von Einem ein Könner in der Instrumentation und damit in der Aufgabenstellung für das Orchester gewesen ist, dies offenbart sich in diesem Dialog gerade im Zwiegespräch der Klänge auf herausragende Weise. Aber ebenso in den Dialogen, welche das Orchester mit einem Soloinstrument zu führen hat: also im Klavierkonzert op. 20 (1955), im Violinkonzert op. 33 (1967) und im Orgelkonzert 62 (1981). Immer ist hier das Orchester "solistenadäquat" behandelt. Das bedeutet, dass beide, Soloinstrument und Orchester gleichermaßen zu ihrem Recht und zum rechten Dialog kommen. Im Orgelkonzert kommt Einems Meisterschaft diesbezüglich besonders zu Geltung, ist doch dieses Soloinstrument selbst von klanglicher Vielfalt geprägt. Und es hat auch viel zu sagen, dass diese Komposition zwei bedeutenden Menschen aus dem Bereich der Brucknerforschung zugeeignet sind, nämlich Renate und Franz Grasberger.

Gottfried von Einem, der Orchesterkomponist: es ist vielleicht die erstaunlichste Erkenntnis, welche aus der Beschäftigung mit dieser seiner Facette zu gewinnen ist, dass der "Componist" gerade hier, durch die Setzung der Farben, durch die Durchsichtigkeit der Klänge und die Logik der Strukturen oftmals intimste Musik geschaffen hat, intim und ansprechend – das vertraute Gespräch suchend – auch dort, wo sie sich zu feinstem Humor und zu höchster Pracht aufschwingt.