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2/2014 Shakespeare im zeitgenössischen Musiktheater
Meine persönliche Begegnung mit der alten Dame in Skopje
STATEMENT
Nadja Kayali
Die Musikwissenschaftlerin und Ö1-Moderatorin ist international als Dramatrugin und Regisseurin tätig.
2004 habe ich mich gefühlt wie das Phantom der Oper, denn ich habe zwei Monate in einer winzigen Garderobe im Theater gewohnt, in die man einfach ein Bett hineingestellt hatte. Und das war gut so, denn es gab kaum eine freie Minute in jener Zeit. Damals habe ich die Balkan Erstaufführung von Gottfried von Einems Oper Der Besuch der Alten Dame inszeniert. Genauer gesagt war der Ort der Handlung die mazedonische Nationaloper in Skopje.
Es war die Idee von Waltraud Dennhardt-Herzog, der mutigen und tatkräftigen Förderin österreichischer Kulturschaffender im Ausland. Dass ihre Wahl auf mich fiel, war ein wirklicher Glücksfall meines Lebens. Uns verband die Liebe zu Gottfried von Einems Musik und das Bewusstsein, dass seine Werke viel zu wenig aufgeführt werden. Mir war bewusst, dass ich es beim Besuch der Alten Dame mit einem Meisterwerk der Opernliteratur zu tun hatte. Wie genial dem Komponisten die musikalische Umsetzung dieses großartigen Stoffes gelang, wurde mir in seiner ganzen Dimension allerdings erst während der Arbeit klar.
Das Ensemble der mazedonischen Nationaloper verfügte über fabelhafte SängerInnen und die meisten waren motiviert und aufgeschlossen für mein Konzept. Allerdings war man gewohnt an der Nationaloper Standardrepertoire in relativ kurzer Zeit und als – ich darf es so nennen – "Stehtheater" zu inszenieren. Nun wollte ich aber wirkliches Theater auf der Bühne sehen und das Stück so inszenieren, dass sich die mazedonischen Zuseher darin wiederfinden konnten. SängerInnen, die ihre "Arien ablieferten" interessierten mich nicht.
Es war für das Ensemble also eine doppelte Herausforderung. Sie mussten wirklich in ihre Rollen schlüpfen, gleichzeitig aber auch erstmals „neue Musik“ lernen. In dieser Situation ergab sich mit der Wahl des jungen bosnischen Dirigenten Josip Sego ein weiterer Glücksfall. Er hatte sofort Zugang zu Einems Musik gefunden und war unermüdlich beim Proben und Einstudieren. Da gab es keine reglementierten Stunden mehr. Bald war klar, dass die vorgesehenen Orchesterproben nicht ausreichen würden. Und so arbeitete er bis zur Premiere auch täglich mit den einzelnen Gruppen des Orchesters. Für mich hieß das allerdings, dass meine szenischen Proben meistens ohne diesen fabelhaften Dirigenten ablaufen mussten. Ein Glück, dass Josip Sego und ich uns blind verstanden und an einem Strang zogen. Nur so konnte sich am Schluss alles zu einem großen Ganzen zusammenfügen, denn die Musik ist Basis jeder guten Operninszenierung.
Ich habe versucht die Musik auf der Bühne sehr genau umzusetzen und hatte das Gefühl, dass Gottfried von Einem es mir eigentlich leicht gemacht hat. Seine Musik ist so exakt; sie spiegelt in jedem Augenblick mit höchster Präzision die Gefühlswelt der Personen und ist auf unglaubliche Weise mit dem Wort verschmolzen. Ich musste also nur ganz genau die Partitur lesen und mich von den Noten leiten lassen. Dabei hatte ich ein klares Konzept, was die Inszenierung ausdrücken sollte.
Ich wollte den Besuch der Alten Dame unbedingt hochpolitisch inszenieren, denn auch durch das Ensemble des Opernhauses ging ein Riss und die Nationalisten hielten furchterregende Veranstaltungen ab, wie ich sie nur aus Bildern und Filmen aus der Zeit des Nationalsozialismus kannte. Dementsprechend wurde aus der Versammlung der Stadt Güllen im letzten Akt auch eine Art "Parteitag".
Die Kostüme waren alle schwarz-weiß und nur durch die "Alte Dame" kam Farbe ins Spiel. Rot. Aber rot ist auch die Farbe des Blutes... Und wir benützten natürlich damit auch die Farben der nationalistischen Bewegung Mazedoniens. Wenn am Ende – nach Alfred Ills Tod – sich alle zu einem Kolo, einem traditionellen Kreistanz zusammenfanden, dann war klar, diese Oper betrifft uns hier und jetzt. Und sie traf damit auch einen wunden Punkt...
Heute ist Der Besuch der Alten Dame immer noch von brennender Aktualität. Gottfried von Einems Oper ist ein Meisterwerk, zeitlos aktuell und schon deshalb sollte sie nicht nur an der Nationaloper Mazedoniens gespielt werden, sondern fester Bestandteil des Repertoires der Wiener Staatsoper sein.