Vermittlung Magazin

Der Klangmagier

STATEMENT
Michael Scheidl

Künstlerischer Leiter von netzzeit. Regisseur, Ermöglicher, Schauspieler. Geboren in Wien, Absolvent des Max Reinhardt Seminars. Als Schauspieler an verschiedenen deutschen Bühnen tätig, danach Gründung von netzzeit in Wien zur Realisation von Theaterideen.

www.netzzeit.at

Peter Eötvös assoziiere ich mit dem Begriff "Klangmagier". Sein "Klangtheater" As I Crossed a Bridge of Dreams habe ich vor 14 Jahren inszeniert und ist sicher eine meiner wichtigsten Arbeiten. Für einen Wanderer zwischen Sprech- und Musiktheater und zwischen allen Genres der Bühnendarstellung ist dieses Werk eine selten umfangreiche Herausforderung.

 

Die Arbeitstage in seinem Haus in Hilversum, gemeinsam mit unserer wunderbaren Hauptdarstellerin Birgit Doll, gehören zu jenen Erlebnissen mit KomponistInnen, von denen ich sagen kann, dass es besonders inspirierende und den Organismus der Inszenierung wie selbstverständlich nährende waren. Damals eilte Peter Eötvös der Ruf des "Schwierigen, der Regisseure durch seine musikalisch-akustischen Ansprüche vollkommen knebelt" voraus. Wie so oft dürfte es mehr an der Kompetenz dieser "Kritiker" gelegen haben, dass sie möglicherweise einen "schwierigen Komponisten" kennengelernt haben, denn einen offeneren, neugierigeren und vertrauensvolleren Regiebegleiter und Unterstützer auf dem Weg zur Realisierung seiner eigenen Schöpfung hätte ich mir kaum wünschen können.


Das Werk selbst faszinierte mich durch seine Musik, die in keinem Moment ihren Bezug zur Stille verliert. Es ist mir bis heute das Synonym für "Seelenraum" geblieben. Die Tagebuchaufzeichnungen einer japanischen Hofdame aus dem 11. Jahrhundert werden zum Klangraum, der uns in die Erinnerungswelt eines Menschen akustisch eintauchen lässt und dessen Visualisierung und mis en scene eine größtmögliche Entfernung von unserem hektischen, lauten Dasein verlangt hat und immer verlangen wird.

 

Es ist, wie wenn man während eines Spazierganges auf der Mariahilferstrasse am Einkaufssamstag vor Weihnachten plötzlich durch eine Tür geht, die hinter einem zufällt und man befindet sich mit einem Schlag in völliger Dunkelheit und Stille. Das ist der Ausgangspunkt des Werkes.


Man sagt, die Musik beginnt in der Stille. Die allerersten Töne, Klänge und Geräusche, die man hört, die allerersten Erlebnisse, die man hat, nachdem die "automatische Aussteuerung" unseres reizüberfluteten Gehirnes bis auf null heruntergefahren ist, die sind die Welt dieses einmaligen Werkes.  Man stelle sich die "Bunten Steine" von Adalbert Stifter vor – nur so spannend, dass man nicht aufhören kann zu lesen. Das wäre vielleicht ein literarisches Erlebnisäquivalent zu As I Crossed a Bridge of Dreams. Dass derartige Erlebnisse in dem aggressiven Tempo der "Echtzeitwelt" von gar nicht zu überschätzender Bedeutung sind, muss wohl gar nicht erwähnt werden.

 

Zum Klangmagier Eötvös gesellten sich die Klangfaune und -feen des Klangforum Wien, verstärkt durch den Posaunisten Mike Svoboda und den Sousaphonisten Gérard Bouquet, der Lichtmagier Axel Morgenthaler und last but not least die Raum- und Kostümzauberin Nora Scheidl. Eine seltene Konzentration von "theatraler Zauberkraft".