Vermittlung Magazin

Über mein tonales Konzept

STATEMENT
Wolfram Wagner

Kompositionsstudium bei Erich Urbanner, Robert Saxton und Hans Zender. Seit 1992 Dozent für Tonsatz und Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Gastvorträge am Pariser Konservatorium und an den Uni-versitäten in Amsterdam und Greensboro/USA. 

www.wolfram-wagner.com

Tonalität, im Sinn einer auf die Naturtonreihe bezogenen Ordnung der Tonhöhen, ist für mich als Komponist ein gut funktionierendes

Werkzeug, Tonhöhenstrukturen zu erschaffen, die vom Zuhörer nachvollzogen werden können. In einem tonalen Zusammenhang scheint mir dem Parameter Tonhöhe ein größeres Gewicht zuzukommen als in einem atonalen. Beispielsweise wird in einer auf C-Dur basierenden Tonfolge ein plötzlich auftretendes es sofort als erhebliche Irritation wahrgenommen, ähnlich dem Effekt, der entsteht, wenn in einem metrisch einigermaßen stabilen Kontext ein längerer Ton unerwartetermaßen eine Sechzehntel zu früh oder zu spät, also vor oder nach dem Schlag kommt. Tonalität schafft dem Zuhörer die Möglichkeit, Bezüge nicht nur zwischen einzelnen Tonhöhen herzustellen, sondern jeden singulären Ton auch in Relation zu einem momentanen tonalen Zentrum wahrzunehmen, jedes tonale Zentrum wiederum in Relation zu einem benachbarten, vielleicht übergeordneten tonalen Zentrum, und alle diese tonalen Zentren in Relation zu einem dem Stück zugrunde liegenden Grundton. So entsteht eine klingende Struktur, in der jede Tonhöhe ihren – vom Ohr tatsächlich erkennbaren – individuellen Platz hat.

 

Eine ganz andere Möglichkeit der Verwendung von Tonalität seitens des Komponisten/der Komponistin ist weniger struktureller als klanglicher Natur: "tonale" Klänge (z.B. Dreiklänge) können einer im strukturellen

Sinn durchaus atonal konzipierten Musik ein Klanggewand geben, das traditionell orientierten Hörern vertrauter erscheint als z.B.

chromatische Cluster.

 

Die von mir zuvor angedeutete strukturell gedachte Tonalität schließt alle Klänge, vom Dreiklang bis zum Cluster, ein. Viele meiner Stücke folgen strikt einem in diesem Sinn tonalen Konzept, wobei ich allerdings standardisierte Wendungen wie z.B. klassische Kadenzfloskeln vermeide. (Wenn ich sie doch – ganz gelegentlich – verwende, dann als Zitat.) Wichtiger ist mir, für jede neue musikalische Situation eine eigene schlüssige Formulierung zu finden und dabei Tonalität als ein mit großem Gewinn auszulotendes, alle erdenklichen Klänge beinhaltendes Feld zu erfahren.