Vermittlung Magazin

Musik, die den Boden unter den Füßen wegzieht

STATEMENT
Johannes Maria Staud

studierte Komposition bei Michael Jarrell (Wien) sowie bei Hanspeter Kybyrz (Berlin). Daneben studierte er Musik-wissenschaft und Philosophie in Wien. Meisterkurse u.a. bei Brian Ferneyhough. Aufträge u.a. von den Wiener und Berliner Philharmonikern, dem Cleveland Orchestra u.a.

Staud bei UE

Zum Thema "Tabu Tonalität?" kann ich nur aus extrem subjektiver Sicht im Widerschein meiner eigenen kompositorischen Arbeit Stellung nehmen.

 

Ich persönlich interessiere mich für Musik, die im Hier und Heute sich artikuliert, mich überrascht, mir harmonisch den "Boden unter den Füßen" wegzieht. Musik, die sensibel versucht, persönlich gefärbte Harmonik –unter Miteinbeziehung von Geräuschklängen und Mikrointervallen – zu erzeugen. Musik, die abseits der Dur-Moll-Tonalität harmonischen Rhythmus und Stringenz ernst nimmt und mich dabei zu neuen klanglichen Ufern au fond de l'inconnu mitnimmt. Musik, die –Komponieren als historisch bewußter Akt – in der Tradition wurzelt, aber nicht in ihr wurstelt (um mit Helmut Lachenmann zu sprechen).

 

Heute wird der Begriff Tonalität von Seiten "konservativer" Komponisten meist unsauber und larmoyant als Kampfbegriff eingesetzt und muss dabei für ein Mischmasch aus Dur/Moll- oder modaler Tonalität, für ein Pasticcio aus Berg-, Hindemith-, Bartók-, Ravel-, Britten-, Poulenc-, Satie- oder Minimal Music-Wendungen herhalten. Die Zitier- und Allusionswut, das gedankenlose Wühlen und Wildern im Fundus großartiger, viele Jahrzehnte alter Werke, entwertet nicht nur das Andenken an diese großen Komponisten, sondern soll darüberhinaus auch oft über die Blässe der eigenen kompositorischen Ideen hinwegtäuschen.