Vermittlung Magazin

Schönbergs künstlerische Prinzipien und Parallelen im Denken des Architekten Adolf Loos

1 Unterrichtsstunde 8. Klasse AHS                                    

BEST PRACTICE
Gabriele Eder-Lindinger

AHS-Lehrerin für Musikerziehung und Englisch am Akademischen Gymnasium Wien. Leiterin des Chores am Akademischen Gymnasium Wien.

Aufgabe:

 

a)  Hört zunächst Schönbergs Orchestervariationen op. 31 und Mozarts Symphonie Nr. 40 g-moll KV 550. Vergleicht die beiden Werke in Hinblick auf das musikalische Prinzip der Wiederholung.

b)  Betrachtet das Loos-Haus auf dem Michaelerplatz in Wien (1909-1911) (www.aeiou.at/aeiou.film.o) und das Haus Linke Wienzeile 38 (1898) von Otto Wagner. (www.aeiou.at/aeiou.encyclop.w). Vergleicht die beiden Gebäude. Ordnet Begriffe wie Funktionalität, Verzierung, Notwendiges und Überflüssiges den beiden Gebäuden zu. Überlegt, welche Parallelen zu den beiden Musikbeispielen denkbar sind.

 

Studiert nun die folgenden Texte (Information) und bereitet für eure KollegInnen eine Präsentation vor, welche ausgehend von den genannten Musikbeispielen und den beiden Bildern folgende Aspekte beinhaltet: 

 

1)  Schönbergs Charakterisierung einer wahrhaft „großen Kunst“ und einer "Musik für Erwachsene"

2)  Der "ideale Hörer" von Schönbergs Musik

3)  Parallelen zu Schönbergs ästhetischer Auffassung in Loos´ Text "Ornament und Verbrechen" (1908)

Benützt originale Zitate, um eure Darstellung zu untermauern.

 

4) Überlegt anschließend Gründe, weshalb eine im Sinne von Schönberg konzipierte Musik für den durchschnittlichen Hörer schwer verständlich sein muss.

 

Information:

Um 1900 wurde in Wien der traditionelle Kunst-Begriff von zahlreichen jungen Künstlern in Frage gestellt. Eine Gruppe junger Künstler, die "Secessionisten",  hatte 1897 die alteingesessene Vereinigung des "Künstlerhauses" verlassen, da sie mit deren Kunstauffassung nicht übereinstimmte. Alfred Roller, Mitglied dieser Gruppe und zeitweilig ihr Präsident, wurde von Hofoperndirektor Gustav Mahler als Bühnenbildner engagiert. Gemeinsam setzten sie neue künstlerisch-musikalische Standards im Operntheater. Der Schriftsteller Karl Kraus, dessen kritische Zeitschrift "Die Fackel" seit 1899 erschien, beeinflusste mit seiner Sensibilität für die Wahrheit im Wort und seinem Kampf gegen Schlamperei und doppelte Moral einige Generationen von Künstlern und Intellektuellen, so auch Schönberg und seinen Kreis.

Von einer einheitlichen Tendenz der jungen Dichter-, Maler- und Komponistengeneration zu sprechen, wäre jedoch falsch. Gemeinsam war ihnen nur die Opposition gegen die herrschenden Standards des Kunstbetriebes.

Mahler war für Schönberg von entscheidender Bedeutung. Zu den anderen Künstlern der Avantgarde ergab sich keine enger persönliche Beziehung - mit einer Ausnahme: Mit dem Architekten und Stiltheoretiker Adolf Loos - er nahm seinerseits zu den Jugendstilkünstlern eine extrem kritische Haltung ein -,  verband Schönberg eine dauerhafte Freundschaft. 

So weit entfernt Musik und Architektur voneinander zu sein scheinen, in den Kunstanschauungen von Loos und Schönberg finden sich doch erstaunliche Parallelen.

 

Schönberg plädiert für eine Musik, in der die Gedanken klar und präzise, ohne jedes unnötige Beiwerk dargestellt werden:

 

Große Kunst muss zu Präzision und Kürze fortschreiten. Sie setzt den beweglichen Geist eines gebildeten Hörers voraus, der in einem einzigen Denkakt bei jedem Begriff alle Assoziationen, die zu dem Komplex gehören, einschließt [...] Das sollte musikalische Prosa sein - eine direkte und unumwundene Darstellung von Gedanken ohne jegliches Flickwerk, ohne bloßes Beiwerk und leere Wiederholungen.1

 

Komponisten sollten "Musik für Erwachsene" schreiben, Musik für Menschen, die auch komplexe Sinneinheiten verstehen, und nicht, um zu verstehen, auf Wiederholungen angewiesen sind.

 

Reife Menschen denken komplex, und je höher ihre Intelligenz ist, um so größer ist die Anzahl der Komplexeinheiten, mit denen sie vertraut sind. Es ist unbegreiflich, dass Komponisten als "ernste Musik" bezeichnen, was sie in veraltetem Stil mit einer Weitschweifigkeit schreiben, die dem Inhalt nicht angemessen ist - indem sie drei- bis siebenmal wiederholen, was man sofort versteht. Warum sollte es in der Musik nicht möglich sein, in ganzen Komplexen in gedrängter Form zu sagen, was in den vorausgegangenen Epochen zuerst mehrmals mit geringen Variationen gesagt werden musste, ehe es ausgeführt werden konnte?2

 

Der "ideale Hörer", der Schönberg vorschwebt, ist sogar empört über eine Musik, die er sofort versteht:

Man könnte erwarten, dass ein junger Mensch dieser Art, der von dem Schwierigen, Gefährlichen, Geheimnisvollen angezogen wird, eher sagen würde: "Ja, bin ich denen ein Kretin, dass man mir nur solches dummes Zeug vorsetzt, das ich verstehe, ehe ich es zu Ende gehört habe?" oder sogar: "Diese Musik ist kompliziert, aber ich will nicht nachgeben, bis ich sie verstehe." Natürlich werden Menschen dieser Art von Tiefe, Gedankenreichtum, schwierigen Problemen eher entflammt sein. Intelligente Menschen sind zu allen Zeiten beleidigt gewesen, wenn man sie mit Dingen belästigt hat, die jeder Trottel sofort verstehen konnte.3

 

Loos sah Handwerk und Architektur durchaus im Widerspruch zur dekorativen Tendenz der Jahrhundertwende und verkündete für die Entwicklung der Menschheit folgende These:

 

Die schönheit nur in der form zu suchen und nicht vom ornament abhängig zu machen, ist das ziel, dem die ganze menschheit zustrebt.4 

 

In seinem berühmt gewordenen Aufsatz "Ornament und Verbrechen"(1908) heißt es:

 

Ich lasse den einwand nicht gelten, dass das ornament die lebensfreude eines kultivierten menschen erhöht, lasse den einwand nicht gelten, der sich in die worte kleidet: "wenn aber das ornament schön ist...!" Mir und mit mir allen kultivierten menschen erhöht das ornament die lebensfreude nicht.... Der vertreter des ornamentes glaubt, dass mein drang nach einfachheit einer kasteiung gleichkommt. Nein, verehrter herr professor aus der kunstgewerbeschule, ich kasteie mich nicht! Mir schmeckt es so besser.5 

 

Didaktischer Hinweis:

 

In jedem Fall sollte die Musik den Ausgangspunkt bilden, da durch das Hören die musikalischen Konsequenzen der wichtigsten künstlerischen Prinzipien Schönbergs verständlich werden.

Die beiden Gebäude machen das Grundproblem der Debatte auch optisch klar. Loos bekämpfte den Jugendstil, da dessen Vertreter seiner Meinung nach dem Ornament viel zu große Bedeutung beimaßen. Das Haus auf dem Wiener Michaelerplatz verursachte ebenso einen Skandal wie viele von Schönbergs Werken bei ihren Uraufführungen innerhalb der ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts.

 

In der Präsentation der Schüler/innen sollten in jedem Fall folgende Aspekte Berücksichtigung finden:

1)  Präzision und Konzentration, die "unumwundene Darstellung von Gedanken ohne jegliches Flickwerk", eine Musik ohne jede Weitschweifigkeit“ charakterisiert laut Schönberg "große Kunst", "Musik für Erwachsene".

2)  Der "ideale Hörer" aber wird von einer komplizierten Musik, die er nicht sofort versteht, mehr angezogen als von einer einfachen Musik: Sie fordert seine Intelligenz heraus.

3)  Loos, der Purist unter den Wiener Architekten und Formgestaltern, fordert unaufhörlich die Priorität der Funktion, verurteilt die Tendenz zu schmücken. Am meisten aber hasst er das Ornament.

 

Anmerkungen zu Aufgabe 4)

In seinem Vortrag "Komposition mit zwölf Tönen" (USA 1935) spricht Schönberg von "Fasslichkeit" als jenem Prinzip, wonach Form in der Kunst, besonders aber in der Musik, strebt.[6] Dies bedeutet die Forderung nach höchster Deutlichkeit, höchster Klarheit bei gleichzeitigem Verzicht auf bloß Dekoratives. Es handelt sich dabei um ein sprachliches Denken,[7] und natürlich ist hier der Einfluss von Karl Kraus nicht zu unterschätzen. Kraus, den Schönberg sehr bewunderte, verfolgte mit seiner klaren Sprache durchaus vergleichbare Ziele wie sein Freund Loos in Handwerk und Architektur und unterstützte ihn auch in seinem Kampf gegen die Schnörksel und Ornamente auf den Wiener Hausfassaden ihrer Zeit. Analog zu Schönberg gelten bei Loos alle architektonischen Elemente, die nicht streng funktionell sind, als zierend und verunklarend und daher als abzulehnen. Wenn Schönberg jedoch die Wiederholung grundsätzlich als ornamental verwirft, verzichtet er auf das traditionelle musikalische Mittel, Fasslichkeit zu erreichen. Denn Wiederholung war über Jahrhunderte jenes Stilmittel, um dem Zuhörer Musik fasslich zu machen.

Hier ist ein Aspekt von entscheidender Bedeutung: Musik ist im Unterschied zu Architektur und Literatur (in geschriebener Form) eine Ohren- und Zeitkunst. Ein Gebäude entzieht sich nicht dem Blick des Betrachters, er kann es wieder und wieder ansehen. Hat der Leser einen Text nicht verstanden, kann er innehalten, darüber nachdenken, den Text nochmals lesen. Diese Möglichkeiten der Wiederholung bieten sich in der Musik nur demjenigen, der die Fähigkeit besitzt, sich diese lesend, mit Hilfe einer Partitur klanglich vorzustellen, nicht aber dem Großteil der Hörer.

 

 



  1. Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: Schönberg,  Stil und Gedanke, hrsg. v. Ivan Vojtêch, Frankfurt/M. 1992 (Taschenbuch-Ausgabe), S. 73f.
  2. Ebd., S. 66.
  3. Schönberg, Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke, in: Schönberg,  Stil und Gedanke, hrsg. v. Ivan Vojtêch, Frankfurt/M. 1992 (Taschenbuch-Ausgabe), S. 47.
  4. Adolf Loos, Ins leere gesprochen 1897-1900, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 1981, S. 72
  5. Loos, Trotzdem. 1900-1930, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 1982, S. 81.
  6. Schönberg, Komposition mit zwölf Tönen, in: ebd., S. 106.
  7. Vgl. dazu Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, S. 15f.