Vermittlung Magazin

"M"

Die neue CD von Mia Zabelka 

REZENSION
Maria Tunner

Studium Musikwissenschaft, Musikvermittlung-Musik im Kontext sowie Elementare Musikpädagogik.

"M" – Mit nur einem einzigen Buchstaben ist Mia Zabelkas Soloprojekt, mit welchem sie sich seit über einem Jahr intensiv beschäftigt, betitelt. Die Ergebnisse, die im Zuge dieser  Klangforschungen entstanden sind, brachte die E-Violinistin und Komponistin im November 2011 in Form eines überaus bemerkenswerten Albums heraus. 

Dass sich dabei hinter dem schlichten "M" mehr verbirgt, als man im ersten Moment vermuten mag, ist nicht verwunderlich, wenn es sich um ein Werk der, in Wien geborenen und in der Südsteiermark lebenden Klangkünstlerin und Pionierin der elektroakustischen Musik handelt.

 

Und in der Tat bringt "M" zentrale Elemente Zabelkas künstlerischer Auseinandersetzung zum Ausdruck:

"M" – wie Mensch, Maschine und Musik – 

"M" – seiner elementaren und etymologischen Bedeutung nach für Wasser stehend –

"M" – als Ur-Klang und Basis der menschlichen Stimme und Musik –

"M" – wie Mia, als symbolischer Platzhalter für die Künstlerin selbst.

 

 

Die beeindruckende Vielschichtigkeit, die sich hinter Mia Zabelkas Musik verbirgt und allein schon durch diese verschiedenen Aspekte deutlich wird, zählt sicherlich zu einem der Hauptcharakteristika der außergewöhnliche Künstlerin. Zabelka, die unter anderen bei Roman Haubenstock-Ramati, Dieter Kaufmann und Kurt Schwertsik studiert hat, zählt heute zu den wichtigsten und interessantesten Vertreterinnen der zeitgenössischen, multimedialen Performance-Kunst und gilt als eine der innovativsten Violinistinnen der Welt.

Auf der Suche nach einer individuellen Klangsprache nahm für sie die Verbindung von Körper und Musik stets eine bedeutende Rolle ein. So wurde der Körper der Künstlerin wie zu einem Filter, durch den sie Musik aller Genres laufen ließ um aus diesen Erfahrungen heraus zu einer ihr eigenen, ganz spezifischen Interpretations- und Kompositionsweise zu finden. Auf dem Weg zu ihrem musikalischen Ausdruck reizte Zabelka die Möglichkeiten der traditionellen Tonerzeugung auf der Violine bis zu ihren Grenzen aus. Durch die Kombination verschiedenster Spieltechniken der E-Geige mit den vielfältigen Formen der stimmlichen, sowie elektroakustischen Verfremdungstechniken und technischen Effekten kreierte sie eine einzigartige künstlerische Handschrift. 

Im Laufe ihrer langjährigen Klangforschungen entwickelte die Künstlerin zudem eine experimentelle Improvisationstechnik, die sie – in Anlehnung an Elfriede Mayröckers Ansatz des „automatic writing“„automatic playing“ nannte und in welcher ihr eigener Körper mittels Tonabnehmer direkt in den Prozess der Klanggenerierung miteinbezogen ist – ihr Körper so zu sagen selbst zu Musik wird. Die Methode dieses „automatic playing“ eröffnete der Musikerin völlig neue Zugänge zur Musikerzeugung und war auch für die Komposition der Werke dieses Albums maßgebliche Basis.

 

Jene unmittelbare Einbeziehung des Körpers, der selbst zum Instrument wird, macht nicht nur Mia Zabelkas – vom Geiste der Avantgarde getragene – multimediale Live-Performance zu einem faszinierenden Musik-Erlebnis, sondern lässt sich auch beim Anhören dieses Albums nachempfinden.

Bereits der Titel der ersten Nummer „Körperklangmaschine“ weist darauf hin, dass Mia Zabelka Klang und Musik als physische Phänomene versteht. Die „Auslotung des Verhältnisses von Körper, Gestik, Klang und Raum“ ist elementarer Bestandteil ihrer Kunst. Sie experimentiert dabei nicht nur mit den Grenzen des instrumental Möglichen, sondern nützt ihren gesamten Körper um radikal individuelle Musik fernab von bekannten Formen und Stilistiken zu erschaffen.

 

Begleitet man in diesem Sinne Mia Zabelka auf einer Reise durch die Klangwelten von "M", durch die musikalischen Landschaften, die wie aus einem Guss heraus fließend aufgebaut werden, so wird ihre Musik zu einer körperlich spürbaren Erfahrung, die mitunter tief ins Bewusstsein einzudringen vermag und den Hörer unmittelbar in ihren Bann zieht.

Alle sieben Nummern dieses Albums sind von Mia Zabelka selbst komponiert, interpretiert und aufgenommen. Ausgangspunkt der Kompositionen waren Gedichte des amerikanischen Lyrikers Walt Whitman (1819-1892), der als einer der Begründer der modernen amerikanischen Dichtung gilt und dessen Werke schon für zahlreiche Komponisten als Inspirationsquelle dienten.

Zabelkas Wahl von Kompositionstiteln wie Tenebrae (Dunkelheit), Mind Scratching, Adil’iu oder Malstrom verdeutlicht bereits den Klangcharakter der jeweiligen Nummern und lässt mögliche inspirierende Hintergründe der Werke erahnen.

 

Die auf "M" zur Verwendung kommenden Instrumente sind elektrische Violine, Stimme, Kontaktmikrophone und Live-Elektronik. Zudem ergänzt Mia Zabelka diese Klangspektren durch die Möglichkeiten diverser elektronischer Gerätschaften sowie des Computers und erweitert mit Hilfe von Loop- und Delay-Techniken diese klangliche Vielfalt in beeindruckender Weise.

Zabelka entfaltet mit diesen Mitteln eine unverwechselbare Atmosphäre, die in feinen Nuancen ständig permutiert, zwischen Stimmungen changiert, sich sukzessive verdichtet und dabei eine meditative, fast hypnotische Wirkung ausübt. Zarte Einzeltöne und repetitive Patterns kommen dabei ebenso vor wie kraftvolle, orchestrale Klänge. Damit baut die Künstlerin Musik unterschiedlichster Intensität – von schwebend, träumerisch, verspielt bis zu aufwühlend, sich reibenden, energischen – übereinander und schafft eine klangliche Dimension, die den Hörer vollkommen vergessen lässt, dass hier nur eine einzige Musikerin am Werk ist. Vielmehr wird ihre Musik zum Ausdruck der mannigfaltigen Stimmungen und Bewusstseinszustände des menschlichen Daseins.

 

"M" zeugt davon, dass sich Mia Zabelkas Musiksprache sämtlichen stilistischen Kategorisierungen entzieht. Die außergewöhnliche Musikerin schafft es in diesem Album, losgelöst von Genre-Zwängen, mit der für sie so charakteristischen Radikalität scheinbar diametral Entgegengesetztes zusammenzubringen und damit eine einzigartige Musik zu generieren, in der jede Sekunde des Zuhörens zu einem spannungsgeladenen und fesselnden Moment wird.

Trotz des experimentellen Charakters und der möglicherweise auch ungewohnten Hörerfahrungen verleitet „M“ seine Hörer zum Eintauchen in Klangwelten frei von Grenzen und Kopflastigkeit, in denen man der Wirkung der Musik nachspüren und seine eigenen Wahrnehmungsweisen reflektieren kann.

Einzige Voraussetzung dafür: man lässt sich darauf ein!

 

LINKS:

 

http://www.musicaustria.at/musicaustria/jazz-improvisierte-musik/mia-zabelka-m 

http://terz.cc/magazin.php?z=44&id=118

http://www.themilkfactory.co.uk/st/2011/11/mia-zabelka-m-monotype-records/