Vermittlung Magazin

IMPOS

ANALYSE
Sabine Töfferl

studierte Kultur- und Sozialanthropologie,
Internat. Entwicklung sowie Musik-wissenschaft, momentan PhD
Musikwissenschaft; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archiv der Zeitgenossen.

IMPOS ist ein Stück für 10 elektrische Zahnbürsten und eine Stimmakrobatin sowie "weiteres unmögliches Instrumentarium"(Aufziehspielzeug, 8 kleine, 2 große Mausefallen, 10 gelbe Etuis von Überraschungseiern, 4 Stethoskope, 2 Fahrräder, 1 Finger-Drum-Set, 4 CDs mit 4 Streicherbögen). Es dauert ca. 10 Minuten und wurde am 7.10.2010 im Rahmen des transart-Festivals in Bozen uraufgeführt. Vier MusikerInnen sitzen an einem Tisch und "spielen" insgesamt 10 elektrische Zahnbürsten – jedeR hat zwei bis drei "Instrumente" zur Verfügung. Manuele Kerer geht es hierbei nicht um ein "Kasperltheater", sondern um die obertonreichen Klänge, die mit elektrischen Zahnbürsten erzeugt werden können (vgl. terz-Interview am 11.9.2012). Manuela Kerer schreibt nach eigenen Angaben sehr gerne Musik, die auch Humor enthält, teilweise die ZuhörerInnen zum Lachen bringt. Dennoch ist das aber nicht lächerlich, sondern eine Einladung an das Publikum, die E-Musik (auch) als amüsant und unterhaltsam wahrzunehmen.

Die Bedeutung des Titels wird dann klarer, wenn man sich die Zusätze anschaut, die klein daneben notiert sind: "IMPOS-sible?", "IMPOS-tors?" und "IMPOS-ant?" werden als mögliche Fortsetzungen angeboten.

 

Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte des Werkes erläutert Manuela Kerer folgendermaßen: Sie sagte einmal in einem Interview, dass sie gerne ein Stück für 10 elektrische Zahnbürsten schreiben würde, und Peter Paul Kainrath (künstlerischer Leiter transart und Klangspuren) gab ihr dann den Auftrag dazu. Die Zahl der MusikerInnen wurde auf vier PercussionistInnen reduziert, die 10 Zahnbürsten spielen (ursprünglich waren 10 geplant). Peter Paul Kainrath erzählte Manuela Kerer von der Stimmakrobatin Maja Solveig Kjelstrup Ratkje und schlug vor, sie in das Stück einzubinden, da sie ohnehin am folgenden Abend einen Auftritt beim transart Festival hatte. Manuela Kerer nahm also mit ihr Kontakt auf und erfuhr, dass sie nicht gerne nach Noten singt, sondern viel lieber improvisiert. So kam also die Improvisationsstimme in IMPOS zustande. Diese sollte nicht zu lange sein, sondern eher ein Einschnitt: wie etwas, das in Klammern festgehalten wird. Dieser Einschub kann auch weggelassen werden – es existiert eine Version ohne Stimmakrobatin.

 

Analyse

In der Partitur sind verschiedene Anweisungen zu finden. Zunächst der Notentext, der durch besondere Zeichen Informationen weitergibt: Es gibt die Befehle "langsamer werden", und für die elektrischen Zahnbürsten "laufend auf dem Tisch"/"laufend erhoben"/"laufend mit Händen fest umschließen"/"im Mund 5 verschiedene Obertöne zu erreichen suchen", außerdem "Gelbes Inneres von Überraschungsei auf gespannte Mausefalle fallen lassen", die allesamt mit Notensymbolen notiert sind. Weitere Anweisungen sind "Metall drücken" (die Köpfe der Zahnbürste abnehmen und den Metallstift, auf dem diese fixiert war, drücken – also das Geräusch dämpfen), "Stethoskop" (mittels Atmen die Geschwindigkeit des eigenen Herzschlages beeinflussen und über ein Stethoskop, dessen Kopfhörer am Mikrophon liegen, diesen für alle hörbar machen), "Fahrrad" (zwei MusikerInnen heben ein Rad pathetisch auf, der/die dritte bringt die Räder zum Laufen, eineR bremst vorne), "Finger-Drum-Set" (alle vier MusikerInnen spielen gemeinsam auf einem Finger-Drum-Set), "CDs mit Streicherbögen" (CDs so auf den Tisch legen, dass ein Teil den Tisch nicht berührt – hier werden sie angestrichen und zum Klingen gebracht), "Lächeln" (ohne Ton, nur die reine Mundbewegung, sonst regungslos; Zähne dürfen nur beim letzten ff gezeigt werden). Das Stück ist zum Großteil sehr leise, weshalb die MusikerInnen dazu aufgefordert werden, die Instrumentenwechsel so geräuschlos wie möglich zu vollziehen.

 

IMPOS beginnt damit, dass KellnerInnen an einer Bar Aufziehspielzeuge nacheinander zum Laufen bringen. Wenn diese aufgehört haben, beginnt der/die erste MusikerIn, ein Aufziehspielzeug zu aktivieren, und die anderen drei folgen. An der Bar schalten dann die KellnerInnen elektrische Zahnbürsten ein, bringen sie zu Tisch (jedem Musiker und jeder Musikerin eine, der Rest befindet sich schon bei ihnen) und stellen sie dort laufend hin. Die MusikerInnen heben sie abwechselnd auf, stellen sie ab, und so weiter. Danach werden die Zahnbürsten mit den Händen fest umschlossen, und es folgt eine Verlangsamung des Tempos, die in Takt 21 in eine Generalpause mündet. Nacheinander vollführen die MusikerInnen Glissandi mit ihren Zahnbürsten, dann wird in verschiedenen Tonhöhen und Rhythmen musiziert, und danach der Mund schnell hintereinander geöffnet, geschlossen, geöffnet, usw. Auf ein Accelerando folgen zwei Takte „normalen“ Musizierens mit den elektrischen Zahnbürsten, danach wieder die schnelle Mund-auf-zu-Bewegung, Glissandi, das Überraschungsei, das auf eine gespannte Mausefalle trifft, und danach (Takt 67) ein Schrei der Stimmakrobatin (deren Part wird im nächsten Absatz behandelt). Bei Takt 79 kommen die Stethoskope zum Einsatz, und nachdem die Stimmakrobatin die Bühne mit dem Rad verlassen hat (Takt 83), schleichen drei MusikerInnen zum Rad und heben es sehr pathetisch in die Höhe. Zwei schubsen je ein Rad an, der/die Dritte bremst, das Rad wird dann wieder abgestellt und die MusikerInnen setzen sich auf ihre Plätze. Es ist akustisch nichts passiert, da alles so leise wie möglich geschehen musste. Zwei Takte später kommt das Finger-Drum-Set zum Einsatz, das alle vier MusikerInnen bedienen. Es gibt verschiedene Soli, und in Takt 102 werden schließlich die CDs mit Bögen zum Klingen gebracht. Bei Takt 117 sind wieder die elektrischen Zahnbürsten zu hören, und ab Takt 126 wird völlig regungslos gelächelt, in Takt 128 das Metall der Zahnbürsten gedrückt, und somit ihr Geräusch gedämpft. Gelächelt wird bis zum Schluss (Takt 132) – erst dann, beim ff, dürfen dabei die Zähne gezeigt werden.

 

Die Stimmakrobatin kommt nach ihrem Schrei (Takt 67) mit einem Fahrrad auf die Bühne und fährt damit herum. Ihr Part ist sehr frei gestaltbar, da Maja Solveig Kjelstrup Ratkje, für die er geschrieben wurde, lieber improvisiert als Noten interpretiert. Einzige eher feste Vorgabe sind die Dynamikangaben und die Bewegungen mit dem Rad. Zeitangaben dienen der Orientierung, und die Anweisung „let you inspire“ motiviert dazu, eigene Ideen zu verwirklichen. Die Stimmakrobatin verlässt in Takt 83, wenn der Stethoskop-Teil vorbei ist und die elektrischen Zahnbürsten wieder eingesetzt werden, die Bühne.

 

Auf der Aufnahme der Uraufführung kann man am Ende das amüsierte Lachen etlicher Personen aus dem Publikum vernehmen – das Ziel, Humor zu vermitteln aber nicht lächerliche Musik zu produzieren, scheint offenbar erreicht worden zu sein.

 

Frage an Manuela Kerer: Entsprach es deinen Hörerwartungen, als du IMPOS das erste Mal gehört hast?

Ich habe mit Maja geprobt, wollte alles von ihr nutzen was sie hat und kann (es gibt ja die Anweisung „let you inspire“ in ihrer Stimme). Ich habe mir vorher einiges von ihr angehört, aber was sie dann gemacht hat, war gar nicht in meiner Vorstellung – bei einer graphischen Partitur kann das gar nicht anders sein, glaube ich. Ich habe sie teilweise schon gefragt, ob sie etwas so oder anders machen kann, aber es war doch ihre Interpretation. Sie ist Grenzgängerin zwischen E- und U-Musik und ist wirklich Wahnsinn!